Ein gutes Leben in einer bösen Welt

Mohammad Rasoulof und die Todesstrafe: „Doch das Böse gibt es nicht“

„Doch das Böse gibt es nicht“ - Berlinale Gewinner 2020 aus Iran
„Doch das Böse gibt es nicht“ - Berlinale Gewinner 2020 aus Iran © Stadtkino

Es ist verlockend, die wahre Macht beim Volk zu sehen. Menschen, die das Richtige wollen, nehmen das Ruder in die Hand und machen die Welt zu einer besseren. Abgesehen von der Frage, wer das „Richtige“ definiert, funktioniert das Prinzip der Macht so nicht. Und wenn, dann nur im ganz Kleinen. Aufhören, „Nein“ zu sagen, kann deshalb der Einzelne aber nicht. Der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof transportiert in seinem Film „Doch das Böse gibt es nicht“ diese klare Botschaft. Es ist die einzige Handhabe, die bleibt: „Nein“ zu sagen. Dass der Weg dahin ein brutaler und steiniger ist und dass die Konsequenzen Leben verändern — und das über Generationen hinweg — verschweigt er dabei nicht. Im Gegenteil.

In vier Episoden widmet sich der Filmemacher in „Doch das Böse gibt es nicht“der Todesstrafe in seiner Heimat. Es sind dabei jedoch nicht die zum Tode verurteilten Häftlinge im Fokus, sondern diejenigen, die symbolisch das Beil schwingen, die Henker.

Es ist kein Beil, das der Mann aus Rasoulofs erstem kurzen Film einsetzt. Zuerst ist es ganz Alltägliches, das er macht. Er bringt einen Sack Reis nach Hause, holt seine Frau und sein Kind mit dem Auto ab, verbringt mit seiner Familie einen Tag bei seiner Mutter, macht ihr Essen. Mitten in der Nacht muss er aufstehen, zur Arbeit fahren, einen Knopf drücken und unter verurteilten Männern öffnet sich ein Schacht und ihr Beine zucken in den letzten Sekunden ihres Lebens.

Ist eine „reine Seele“ mehr wert als das Leben?

Ein junger Soldat will in der zweiten Episode „Nein“ sagen, er kann niemanden im Namen des Staates ermorden, muss es aber. Ansonsten wird sein Wehrdienst verlängert, er darf nicht ausreisen und schließlich wird er sich fügen müssen und ein Todesurteil vollstrecken. In der Stube liegt er nachts mit seinen Kameraden, die unterschiedliche Positionen vertreten, von denen aber keine wirklich befriedigend oder umsetzbar scheint.

Hier offenbart sich auch das Grundproblem, das Rasoulof verhandelt: Das Individuum steht einem System gegenüber, das es ablehnt. Wie soll in so einer Welt ein richtiges Leben geführt werden? Ist es besser, ein anderer ermordet den Verurteilten? Ist eine „reine Seele“ mehr wert als das eigene Leben oder das der Familie zu schützen? Eine Utopie? Ein gutes Leben in einer bösen Welt führen.

Video
Ich möchte eingebundene Social Media Inhalte sehen. Hierbei werden personenbezogene Daten (IP-Adresse o.ä.) übertragen. Diese Einstellung kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft in der Datenschutzerklärung oder unter dem Menüpunkt Cookies geändert werden.

Eine Figur in „Doch das Böse gibt es nicht“ muss mit den Konsequenzen einer Hinrichtung leben, verliert darüber die Liebe ihres Lebens. Ein anderer, seine Geschichte bildet den Abschluss und ist gemeinsam mit der ersten Erzählung die stärkste des Films, muss damit leben, „Nein“ gesagt zu haben. Über dieser Entscheidung hat er seine Familie verloren, gegenüber der er sich nach vielen Jahren erklären muss.

Für seinen Film, der an vielen Stellen realistisch und beklemmend erzählt, an anderen einen künstlichen Eindruck hinterlassende Dialoge konstruiert, hat Mohammad Rasoulof den Goldenen Bären bei der Berlinale 2020 gewonnen. Anreisen konnte er aus Iran nicht, er bekam keine Reiseerlaubnis.

Von Mariella Moshammer

Das könnte Sie auch interessieren