Ein Leben in Werken: Entdeckung einer Vielseitigen

Linzer Kunstmuseum Lentos zeigt spannende Ausstellung zu Holocaust-Opfer Friedl Dicker-Brandeis

Friedl Dicker-Brandeis, Das Verhör, 1934
Friedl Dicker-Brandeis, Das Verhör, 1934 © kunst-dokumentation.com, Manuel Carreon Lopez

Die abstrakte Darstellung liegt wie ein Schleier über einem leidgeplagten Gesicht. Hier drückt sich ein Mensch aus, belastet von einer schlimmen Zeit und dem eigenen tragischen Schicksal. Das Bild stammt aus einer Werkserie mit dem Titel „Verhör“.

Nach Ida Maly arbeitet das Linzer Kunstmuseum Lentos die Geschichte einer weiteren bedeutenden Künstlerin der Zwischenkriegszeit auf, die Opfer der Nazis wurde, und richtet den Spot mit einem ausführlichen Publikation und einer Ausstellung (bis 29. 5.) — der ersten umfassenden in Österreich — auf sie: Bauhaus-Künstlerin Friedl Dicker-Brandeis (1898-1944).

Verortet in ihrer Zeit, geht sie einen eigenen Weg

„Mit der Ausstellung wird der Fokus erneut auf das beeindruckende Werk einer Künstlerin gelenkt, der bisher zu wenig Beachtung geschenkt wurde“, so Kulturstadträtin Doris Lang-Mayerhofer. Anhand von 240 Werken, die in fünf Kapitel unterteilt den Lebensstationen folgen, bietet sich im Lentos ein umfassendes Bild einer Künstlerin, die in ihrer Zeit verortet, aber auch ihren eigenen Weg gegangen ist.

„Wir wollen nicht nur die Biografie, sondern auch die vielseitige Künstlerin darstellen“, sagt Kuratorin Brigitte Reutner-Doneus. Neben abstrakten Darstellungen finden sich in der übersichtlich gestalteten Schau im 1. Stock des Lentos etwa auch realistische Landschaftsbilder aus Dicker-Brandeis´ letzter Zeit in Freiheit, politisch motivierte Bilder neben tiefgründigen Porträts.

„Vergleichsbilder“ von Zeitgenossen, die deren Arbeiten gegenübergestellt sind, zeigen einmal Einflüsse von Künstlern wie Kokoschka oder Schlemmer, ein anderes Mal große Gegensätze und damit die Eigenständigkeit der Künstlerin. Das Porträt von Anna Selbdritt, das Dicker-Brandeis auch als Skulptur realisierte, erinnert an den Kubismus von Fernand Léger.

Dicker-Brandeis studiert zunächst in ihrer Heimatstadt Wien bei Franz Cizek und geht 1919 ans Weimarer Bauhaus. Dort besucht sie u.a. die Architekturklasse. Weil diese Schülerinnen nicht vorsieht, kommt Dicker-Brandeis in Männerkleidern und wird so akzeptiert. „In Weimar galt sie als eine der besten Schülerinnen und wurde in vielen Bereichen ausgebildet“, so Reutner-Doneus.

Neben den Bildern zeugen in der Ausstellung Proben ihrer Webkunst ebenso davon wie spannende Möbel mit genialen Gadgets oder Fotos und Pläne von einem Wiener Kindergarten, dessen Innenraum sie so durchdacht geplant hat, dass sich Kinder hier wunderbar entfalten können. Deren Kunsterziehung ist Dicker-Brandeis, die mit Franz Singer Ateliers in Berlin und Wien betreibt, ein besonders wichtiges Anliegen.

Nach ihrem Eintritt in die Kommunistische Partei Anfang der 1930er-Jahre gestaltet Dicker-Brandeis Progagandaplakate und Plakate zur Unterrichtung von Erwachsenen in Form von Fotomontagen, in denen es um die Situation der Arbeiter, die Wirtschaftskrise oder die Ernährungssituation geht. Auf einer Collage steht über einem unschuldigen Baby, das von Köpfen von Nazi-Größen umrahmt wird: „So sieht sie aus, mein Kind, diese Welt“.

Als Unterlagen zum Fälschen von Pässen bei ihr gefunden werden, wird die jüdischstämmige Künstlerin inhaftiert und gestaltet nach ihrer Freilassung die anfangs beschriebene Serie „Verhör“, mit der sie Internierung und Misshandlungen verarbeitet. Dicker-Brandeis flüchtet nach Prag, wo Stadtansichten im Stil der Neuen Sachlichkeit entstehen. Dort bewegt sie sich in einem Emigrantenzirkel, den sie in allegorischen Darstellungen dokumentiert.

Noch im Getto Theresienstadt, in das sie 1942 deportiert wird, hält sie Malkurse für Kinder ab. Erschütternde Zeichnungen von Leichentransporten oder Begräbnissen aus Kinderhand sind in der Schau zu sehen. Wie viele der Kinder überlebt die Künstlerin nicht, wird 1944 im KZ Auschwitz ermordet.

Von Melanie Wagenhofer

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