Ein „sogenannter Humorist“

Schriftsteller Alois Brandstetter las und sprach im Linzer Stifterhaus

Sanfter subversiver Humor, die Welt ist schließlich tragisch genug: Alois Brandstetter
Sanfter subversiver Humor, die Welt ist schließlich tragisch genug: Alois Brandstetter © Lukas Beck

Ein Bewusstseinsstrom im Werk Alois Brandstetters, der sich assoziativ an Wörtern entlang hantelt. Kaum ein Zufall, dass Brandstetter in seinem umfangreichen jüngsten Werk „Lebensreise. Wallfahrt, oder Werdegang und Lebenslauf“ (Residenz 2020) auch auf James Joyce zu sprechen kommt. Dinge fallen einem zu, so oder so. Wer gerade Denkwege oder gar gerade Lebenswege behauptet, biegt sich die Realität gewaltsam zurecht.

Und so könnte ein Brandstetterischer Denkweg ausschauen: Von Joyce, der ein Jesuitenschüler war und im dritten Vornamen Aloysius hieß, zum hl. Aloisius von Gonzaga, einem Jesuiten, nicht nur Namenspatron Brandstetters, sondern auch Schutzheiliger gegen die Pest. Was auch wieder gut zu Brandstetters Corona-Betrachtungen passt.

Von hier wiederum zu einer österreichischen Parteichefin, die einen sich als Impfgegner aufplusternden Parteichef „fetzendeppert“ nannte, was etymologische (wortkundlerische) Fragezeichen bei Brandstetter auslöst. „Fetzendeppert“ die Steigerung von deppert? Wie das? „,Fetzen´ ist ja wohl der Rausch!“

H. C. Artmann-Fan

Wörter und Wortbedeutungen schwirrten am Dienstag im bummvollen Linzer Stifterhaus. Der 1938 in Pichl bei Wels geborene Schriftsteller, 1974 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden mit „Zu Lasten der Briefträger“, ein (Alters-)Weiser, der die Dinge noch immer lustvoll durcheinanderwirbelt. Ein Gentleman und absolut seriös, doch stets sprungbereit zu hintersinnigem Witz. Humor als Subversion, die Welt ist tragisch genug.

Brandstetter ungreifbar, ein Konservativer, „kirchlich sozialisiert“, wie er selbst sagt. Vielleicht sogar ein wenig fromm? „Das kann man gern so sehen.“ Im nächsten Moment vergnügt sich Brandstetter damit, auf unnachahmlich sanfte, doch entschiedene Weise jenen eins auszuwischen, die einst überheimische Avantgarde herzogen und H. C. Artmanns epochales Mundart-Kunstwerk „Med ana schwoazzn dintn“ (1958) miesmachten: „Leute, die in der Wörterbuchkanzlei verkehrt haben.“

Die aktuelle Ausstellung im Stifterhaus zum Salzburger Residenz Verlag finalisierte an diesem Abend, der treue Residenz-Autor Brandstetter hatte deshalb eine „kleine Rede“ zum Verlag vorbereitet. Ein „umwegfreundliches Schlendern“ (Joyce!) in den Zeiten, ein glücklicher Jungautor Brandstetter, der sich in Salzburg „sehr wohl und kindisch wichtig“ gefühlt habe. Begegnung mit Thomas Bernhard, der damals neue Stern am Literaturhimmel saß mit Grete Hufnagl im Gmundner Café Brandl und „monologisierte in seiner sarkastischen Art“.

Die Einladung des jüngeren Kollegen, doch am Abend zu dessen Lesung zu kommen, lehnte Bernhard beinahe freundlich ab. Zu Dichterlesungen gehe er nicht, so Bernhard, und schon gar nicht zu solchen von „sogenannten Humoristen“. Denn: „Humorist bin ich ja selber!“

Man spricht Altgotisch

Im Stifterhaus saß an der Seite Brandstetters der Weggefährte und Freund Hans-Jürgen Schrader, ein renommierter Germanist, den auch die gemeinsame akademische Vergangenheit und literarische Beseeltheit mit Brandstetter verbindet. Quasi intime akademische Gespräche, mit für Außenstehende geradezu skurrilen Auswüchsen. Das Vaterunser auf Altgotisch bekommt man schließlich auch nicht alle Tage zu hören. Herrlicher Abend.

Von Christian Pichler

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