Er will zurück ins Leben

„Ich an meiner Seite“ von Bachmann-Preisträgerin Birgit Birnbacher

Bachmann-Preisträgerin Birgit Birnbacher ist mit „Ich an meiner Seite“ für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Bachmann-Preisträgerin Birgit Birnbacher ist mit „Ich an meiner Seite“ für den Deutschen Buchpreis nominiert. © APA/Eggenberger

Arthur ringt mit sich selbst, das Leben „draußen” eine fortwährende Verunsicherung. „Meine Güte, es ist nur ein Purzelbaum! Denk einfach mal für einen einzigen Moment in deinem ganzen verdammten Leben nur an das, was du jetzt gerade tust. Arme hoch = Arme hoch. Kopf einziehen = Kopf einziehen. Springen = (verdammt noch mal) springen. Und so macht er es.“

Erheiternde Passagen, kleine Therapiefortschritte tun gut. Die traumatisierenden Erfahrungen, die Arthur in der JVA (Justizverwahrungsanstalt) Gerlitz gemacht hat, sind auch für den Lesenden nur schwer erträglich. In vierfach belegten Gefängniszellen erfährt das schwächste Glied eine Hölle aus Demütigung und sexueller Gewalt.

Arthurs Leben nicht „psychologisch“ erklärt

Autorin Birgit Birnbacher lässt das weite Land der Seele Arthurs weitgehend unversehrt von allzu einfachen „psychologischen“ Erklärungen.

Warum, wie schlittert ein schüchterner junger Mann in die (Internet-)Kriminalität? Frühe Kindheit im wenig Zukunft verheißenden Bischofshofen, ein Vater, der sich gleich nach Arthurs Geburt aus dem Staub machte. Übersiedelung und Neubeginn mit Mutter und Stiefvater in Andalusien. Weitere Verlusterfahrungen, eine Freundin stirbt.

Birnbacher, Bachmann-Preisträgerin 2019, nähert sich pathosbefreit und emphatisch ihrem unheldischen Helden. Tastet sich, ähnlich wie dieser, voran, ergründet seine verstörende Geschichte. Eine neue Therapieform soll Arthur „resozialisieren“, der Ausgang nach einem Jahr in einer betreuten Wohngemeinschaft ungewiss: „Der Arbeitsmarkt, der Partnermarkt, der Wohnungsmarkt. Egal, welchen Markt Arthur nimmt, er hat auf keinem dieser Märkte gute Karten.“

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Wichtigster Verbündeter Arthurs ist der Soziologe mit Rufname Börd. Ein Hängengebliebener oder Gescheiterter, den auch tagsüber eine Wolke aus Alk und Tschick umwabert. Dieser angeschlagenen Gestalt kann sich Arthur anvertrauen, doch ist Wien leider nicht Hollywood. Kein „Good Will Hunting“, in dem ein junges labiles Genie schnurstracks zum ordentlichen Mitglied der Gesellschaft mutiert, sondern zäher und lebensnaher Alltag.

„Ich an meiner Seite“ ist so unperfekt wie Arthur. Die 1985 in Salzburg geborene Birnbacher überlädt ihren zweiten Roman mit Fach- und Insiderwissen (Birnbacher areitet auch als Soziologin), was den Fluss der Story stört. Zudem schummelt sie sich in ein allzu herbeigesehntes Happyend. Dafür entschädigen viele dichte, genau beobachtete Passagen.

Die Figur des Arthur wächst einem zu, er findet langsam Halt in sich selbst: „Schon bald habe ich das Gefühl gehabt, dass kein Glanzbild mich heil hier rausbringen wird, sondern einzig und allein ich an meiner Seite.“

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