„Erinnerungen ist selten zu trauen“

Der oberösterreichische Dramatiker Thomas Arzt und sein erster Roman

Thomas Arzt © APA/Pfarrhofer

Der in Schlierbach geborene Thomas Arzt nahm sich in seinem ersten Roman „Die Gegenstimme“ ein Kapitel Familiengeschichte vor.

„Die Gegenstimme“ beruht offenbar auf der wahren Geschichte Ihres Großonkels, der bei der Abstimmung über den „Anschluss“ als Einziger im Dorf eine Nein-Stimme abgab. Wie wurde mit diesem Kapitel der Familiengeschichte umgegangen?

THOMAS ARZT: Die Tat des Karl Bleimfeldner ist nur mündlich verbürgt. Meine Großmutter hatte immer davon erzählt, in einem stolzen Tonfall. In der Familie klang das für mich als Kind nach „Heldengeschichte“. In der Recherche hat sich eher das Bild ergeben, dass der Karl selbst gar nicht darüber berichtet hat. Im Dorf dürfte ihm nach dem Krieg aber durchaus mit Hochachtung begegnet worden sein. Der Schein trügt aber oft. Für mich hat sich die Heldengeschichte jedenfalls in Luft aufgelöst. Den Fotos zufolge, die ich kenne, war er als Student in einer katholischen und ständestaatlich loyalen Burschenschaft und seine Vorlesungen waren voll mit austrofaschistischer Ideologie. Sein Kreuz gegen Hitler war eines für Schuschnigg bzw. für Dollfuß.

Was hat für Sie den Ausschlag gegeben, diese wahre Begebenheit zum Ausgangspunkt eines Romans zu nehmen?

Ich wollte anfangs für mich persönlich herausfinden, was damals geschehen war bzw. was geschehen sein könnte. Erinnerungen ist ja selten zu trauen, Erzählungen aus der Familie oft viel weniger. Im Gemeindearchiv bin ich dann auf das Dokument gestoßen, das zeigt, wer am Abstimmungsvorgang damals mutmaßlich beteiligt war, und auf Listen, in denen man sich nach dem Krieg eintrug und versicherte, eben ganz und gar nicht beteiligt gewesen zu sein. Spätestens da wurde die Sache zu einem Stoff, der über mein privates Interesse hinausreichte.

Wie schwierig war es, der Atmosphäre dieser Zeit nachzuspüren und sie wiederzugeben?

Ich habe viel im O-Ton gelesen, Zeitungsberichte von damals, Korrespondenzen der nationalsozialistischen Behörden, etc. Das hat geholfen, ein Gespür für den „Sound“ zu bekommen, der die Ereignisse umgab. Danach habe ich eigentlich gar nicht mehr „historisch“ gedacht, sondern versucht, in den damaligen Vorgängen die heutige Atmosphäre aufzuspüren. Es braucht ja nicht viel, um den Brückenschlag vom Faschismus der 1920er und 1930er-Jahre zu aktuellen Tendenzen zu wagen.

Sie sind als Dramatiker bekannt geworden. Nun legen Sie Ihren ersten Roman vor. Was war der Reiz des Genrewechsels?

Der Reiz liegt für mich sicher im längeren Atem, den mir die Prosa abverlangt. Theaterstücke gelingen mir ungeplanter, intuitiver, auch wirrer und chaotisch im Anfang. In der Prosa war das für mich aber schwer einzufangen, wenn ich zu sehr „aus dem Bauch heraus“ begonnen habe. Ich brauche in der Prosa nämlich tatsächlich furchtbar lang für ein paar Seiten. Andererseits fiel mir durch die Theatererfahrung der Umgang mit den Figurenstimmen leicht. Ich hatte schnell den Tonfall meines „Personals“ im Buch gefunden. Auch die Konzentration auf einen einzigen Tag, diesen 10. April 1938, an dem das Buch spielt, ist wohl eine „dramatische“ Setzung.

Als Dramatiker sind Sie von einer Branche abhängig, die von Schließungen betroffen war und ist. Wie hat sich die aktuelle Lage auf Sie als Autor ausgewirkt?

Es wurden Aufführungen abgesagt, manche verschoben, aber von wenig Publikum besucht. Die ganze Branche ist vorsichtig bis entnervt. Neue Auftragsarbeiten sind ebenfalls vertagt worden, aber man kann ja nicht immer mit der nächsten Spielzeit rechnen, von der wieder keiner weiß, wie es dann sein wird. Auch das Buch muss nun „online“ präsentiert werden. Keine leichte Sache. Ich bin allerdings froh, dass meine Familie und ich wohlauf sind. Staatliche Förderung gibt es. Das Geld wird aber auch hier weniger. Zum Glück konnte ich ein Hörspiel realisieren. Das Radio erweist sich als krisenresistenter als das Theater. Für die Zukunft braucht es aber mehr. Konzepte, die langfristig Zusammenhänge herstellen. Pandemien gehen mit der Zerstörung des Planeten einher. Wenn wir nicht grundsätzlich gegenlenken, stehen wir noch lange mit Maske da.

Mit THOMAS ARZT sprach Wolfgang Huber-Lang

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