Erzähler geg en das Vergessen

„Ein jüdisches Leben“: Ein dringliches Porträt eines KZ-Überlebenden

MarkoFeingold
Marko Feingold © BlackboxFilm & MedienProduktion GmbH

Als KZ-Überlebender ist Marko Feingold die schlimmen Erinnerungen nie mehr losgeworden. Noch immer wache er ein paar Mal im Jahr schweißgebadet auf und denke, er sei im Konzentrationslager, erzählt er.

Die Vergangenheit holte ihn aber nicht nur ein, er trug sie bei Vorträgen in die Welt hinaus — im Kampf gegen das Vergessen. In der Dokumentation „Ein jüdisches Leben“ der Regisseure Christian Krönes, Florian Weigensamer, Christian Kermer und Roland Schrotthofer blickt Feingold knapp zwei Stunden zurück.

„Ich bin schon so viele Male gestorben“

Unglaublich, wie lebendig Feingold von allem, was er erlebt hat, im Alter von 105 Jahren berichtet, wie viele Details er noch weiß und welche Gefühle wach werden. „Ich bin immer noch am Leben, obwohl ich in meinem Leben schon so viele Male gestorben bin“, sagt er. Was für eine Qual muss es sein, das immer und immer wieder zu erleben.

In der Doku sieht man den in Wien aufgewachsen, 1913 in der heutigen Slowakei geborenen Feingold allein vor schwarzem Hintergrund sitzen, nichts lenkt von diesem großartigen, tapferen Mann ab. Die Kamera zeigt Feingold meist recht nah, von der Seite, von vorne. All das und auch die Wiedergabe in Schwarzweiß machen das Porträt äußerst eindringlich. Lediglich einige historische Archivaufnahmen ergänzen den Monolog, der kommentarlos für sich steht.

Und Feingold hat viel zu sagen. Seine ersten Erinnerungen reichen zurück bis ins Alter von drei Jahren, als seine Mutter während des Ersten Weltkrieges verzweifelt darum bemüht war, den Hunger ihrer vier Kinder zu stillen. Hunger ist es auch, der Feingold als schrecklich-intensives Gefühl aus dem KZ präsent bleiben wird. Als junger Mann genießt er sein Leben, vergnügt sich beim Tanz und hält sich auch nicht streng an die Regeln seiner Religion.

Im Herzen sei er immer Jude geblieben, auch wenn ihm die nicht koschere Burenwurst gemundet habe. Politik interessiert den in Italien mit seinem Bruder sehr erfolgreichen Vertreter damals nicht. Doch dann erlebt er in Wien den Einmarsch und die begeisterten Reaktionen der Menschen: „Als wäre es eine andere Bevölkerung in zwei, drei Stunden“. Dass Österreich sich im Nachhinein gern als Opfer sieht, lässt er überhaupt nicht gelten, Entnazifizierung habe hierzulande geheißen, dass „einer den anderen entschuldigt“, ehemalige Nazis nach sechs Monaten wieder im Amt waren. „Davon, dass wir armen Österreicher überfallen wurden, ist nicht ein Wort wahr.“

Auf der Flucht nach Prag werden Feingold und sein Bruder 1938 verhaftet. Vier Konzentrationslager überlebt er, sechs Jahre dauert das Martyrium in den Massenvernichtungsstätten der Nazis, und er verliert seine ganze Familie. Feingold bedauert sich selbst nicht, wenn er davon erzählt, wie er auf den Tod gewartet habe. Vielmehr belastet ihn, was er mit ansehen musste: Mütter, deren Säuglinge von SS-Leuten an die Wand geschmettert wurden oder die eigene Entmenschlichung. Wenn er keine Worte mehr findet, schweigt er im Film.

Als der Krieg aus ist, will man die befreiten Juden in vielen europäischen Ländern nicht haben. Feingold wird für viele zum Fluchthelfer, in Salzburg, wo er sich nach dem Krieg niederlässt, ist er lange Präsident der Israelitischen Kulturgemeinde.

Der Film ist auch eine Mahnung, wenn es um aktuelle Entwicklungen geht: Bis zuletzt erhält Feingold immer wieder antisemitische Hassbriefe. „Ich bin so lange mit dem Erzählen nicht fertig, so lange es Leugner gibt“, sagt er. Im Alter von 106 Jahren ist dieser wichtige Zeitzeuge von uns gegangen. Mit dem Film bleibt ein bedeutendes Dokument über ihn, das seine Anliegen weiterträgt.

Von Melanie Wagenhofer

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