Es gab noch nie so viele Möglichkeiten“

Weiterbildung ist der Schwerpunkt auf dem Jobmarkt, sagt AMS-Landesgeschäftsführer Gerhard Straßer

Gerhard Straßer, Geschäftsführer des Arbeitsmarktservice (AMS) Oberösterreich, sieht weiterhin einen Fachkräftemangel und legt in seiner Arbeit einen Schwerpunkt auf Jobvermittlung und Qualifizierung.

VOLKSBLATT: Auch wenn es schwer ist zu prognostizieren und es Überraschungen – etwa weitere Lockdowns – geben kann: Wie wird sich die Arbeitslosenrate in Oberösterreich dieses Jahr entwickeln?

STRASSER: Eine Prognose ist zum jetzigen Zeitpunkt echt schwierig. Es lässt sich kaum einschätzen, wie sich Beschäftigung und Arbeitslosigkeit – abhängig vom Verlauf der Pandemie – entwickeln werden. Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass die Arbeitslosenquote geringfügig unter den Vorjahreswert von 6,5 Prozent sinken wird.

Welche Branchen sind besonders schwer, welche kaum betroffen?

Es gibt keine Branche, die nicht von den Auswirkungen der Anti-Corona-Maßnahmen betroffen wäre. Vergleichsweise gut läuft es derzeit in Teilbereichen des Handels, in der IT, im Baunebengewerbe, der Warenzustellung und öffentlichen Bereichen wie Gesundheit und Verwaltung. Erwartungsgemäß leiden Gastronomie und Fremdenverkehr derzeit am meisten unter den Corona-bedingten Maßnahmen. Auch viele Unternehmen in anderen Dienstleistungsbereichen oder der Produktion haben mit den Folgen der Wirtschaftsflaute zu kämpfen. Die Industrie stabilisiert sich in vielen Branchen und reduziert die Kurzarbeit.

Welche Bildungsniveaus sind generell besonders von der Arbeitslosigkeit betroffen?

Die Gefahr, arbeitslos zu werden, ist bei Menschen ohne formale Berufsausbildung um das Vierfache höher als bei Personen mit einem Berufsabschluss. Natürlich ist die derzeitige Arbeitslosenquote viel zu hoch und in manchen Branchen sind die Zukunftsaussichten düster: Aber es gilt immer noch, dass ein Lehrabschluss oder eine höhere Ausbildung die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit ist.

Welche Maßnahmen setzt das AMS zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit?

Unsere Schwerpunkte liegen klar auf Jobvermittlung und Qualifizierung. Wo immer es geht, bieten wir Arbeitsuchenden passende Jobs an. Sind die nicht da, gibt es zwei Möglichkeiten: Die Betroffenen bilden sich beruflich weiter, um ihre Chancen zu erhöhen – oder sie wechseln die Branche. Noch nie waren die Möglichkeiten so vielfältig, Aus- und Weiterbildungen zu absolvieren – egal ob auf dem freien Bildungsmarkt, in unseren Kursen oder in einer Arbeitsstiftung. Gemeinsam mit dem Land und den Sozialpartnern haben wir die Zukunftsstiftung organisiert, die 2000 Ausbildungsplätze bereithält. Auch sonst fahren wir eine groß angelegte Qualifizierungsoffensive, in die wir rund 60 Millionen Euro investieren.

Was bereitet Ihnen puncto Arbeitsmarkt die größte Sorge?

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Praktisch automatisch wird die Langzeitbeschäftigungslosigkeit ein immer größeres Problem: Je länger die Krise dauert, umso mehr Leute gibt es, die seit einem Jahr oder länger keine Arbeit mehr haben. Wer etwa Ende 2019 saisonal bedingt seinen Job verlor, konnte darauf hoffen, im Frühjahr 2020 wieder zu arbeiten. Aber unvorhersehbar ist alles anders geworden: Zwischen März 2020 und Jänner 2021 hat sich die Zahl der Langzeitbeschäftigungslosen von 9000 auf 13.000 erhöht. Gemeinsam mit dem Land und den Sozialpartnern arbeiten wir an Strategien, um diese Menschen wieder in Arbeit zu bringen.

Wo sehen Sie am ehesten Licht am Ende des Tunnels?

Das ist so eine Sache mit dem Licht im Tunnel: Ist es das Sonnenlicht oder bloß der Gegenverkehr … Nein, im Ernst: Erst wenn wir die Pandemie in den Griff bekommen, können sich Wirtschaft und Arbeitsmarkt nachhaltig erholen. Vorausgesetzt, dass wir im Sommer bereits eine relevante Durchimpfungsrate haben, sollte es in der zweiten Jahreshälfte wieder stärker bergauf gehen.

Die Arbeitslosendiskussion hat den Fachkräftemangel medial zurückgedrängt. Gibt es den überhaupt noch?

Ja, es gibt weiterhin einen Fachkräftemangel. Derzeit ist er überschaubar. Aber er wird zunehmen, sobald die Wirtschaft wieder Planungssicherheit hat. Den Fachkräftemangel werden wohl jene Branchen am meisten spüren, in denen jetzt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abwandern.

Wie lange ergibt es aus finanzieller Sicht noch Sinn, die Corona-Kurzarbeit fortzusetzen?

Man sollte die Kurzarbeit nur so lange als Alternative zu Kündigungen einsetzen, wie unbedingt notwendig. Denn viele Personen in Kurzarbeit hätten durchaus Chancen, in anderen Betrieben oder Branchen unterzukommen. Wird sie zu lange fortgesetzt, kann sie sogar den Fachkräftemangel anheizen. Aus finanzieller Sicht bringt Kurzarbeit natürlich Vorteile für die Betroffenen gegenüber arbeitslosen Personen, und letztlich profitiert die Gesamtwirtschaft von der weitgehend intakten Kaufkraft Zehntausender Personen. Es macht einen großen Unterschied, ob man, wie beim Arbeitslosengeld, von 55 Prozent des Nettolohns leben muss oder ob einem 80 bis 90 Prozent während der Kurzarbeit zur Verfügung stehen.

Mit AMS-Geschäftsführer GERHARD STRASSER sprach Oliver Koch.

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