„Es hat auch diese Geschichte viel mit mir zu tun“

Regisseur Adrian Goiginger über Aussteiger, Egoismus und Kinder

Adrian Goiginger ist im losen Gespräch über die Verfilmung der Fortsetzung der „Piefkesaga“, die Felix Mitterer plant.
Adrian Goiginger ist im losen Gespräch über die Verfilmung der Fortsetzung der „Piefkesaga“, die Felix Mitterer plant. © Trumer

Eigentlich hätte „Der Fuchs“ über seinen Urgroßvater der zweite Film von Adrian Goiginger werden sollen. Corona und Finanzierung haben die Reihenfolge verändert. Nun kommt „Märzengrund“, die Verfilmung eines Dramas von Felix Mitterer nach einer wahren Begebenheit, ins Kino, Anfang nächsten Jahres „Der Fuchs“. Sein Langfilmdebüt feierte der Salzburger Regisseur 2017 sehr überzeugend mit „Die beste aller Welten“.

VOLKSBLATT: Ihr erster und ihr bald dritter Film sind sehr persönlich, mit „Märzengrund“ haben Sie Felix Mitterers Buch verfilmt. Macht das einen Unterschied?

ADRIAN GOIGINGER: Für „Die beste aller Welten“ habe ich ja ohne es zu wissen meine ganze Kindheit lang recherchiert. Bei „Der Fuchs“ habe ich schon mit 14 angefangen, meinen Großvater zu interviewen. Bei „Märzengrund“ musste ich das in einer komprimierten Form vor dem Dreh machen. Felix hat ja schon sehr viel davon gemacht, was ich sonst gemacht hätte.

Ist es emotional fordernder, sich mit der eigenen Lebensgeschichte zu beschäftigen, als mit der eines anderen?

Es geht so. Es hat ja auch diese Geschichte viel mit mir zu tun. Ich habe auch oft die Schnauze voll von der Gesellschaft und wünschte mir, wegzugehen. Was tatsächlich anstrengend ist, ist die Schwere der Themen. Meine drei Filme, da ist alles ziemlich zach gewesen. Im Herbst drehe ich meine erste Komödie, da freue ich mich echt schon drauf. Das brauche ich jetzt ‘mal, ‘was Lockeres, wo es nicht um Selbstmord, Drogen, etc. geht.

Worum wird’s gehen?

Der Voodoo Jürgens wird sich selbst spielen. Es geht um sein Leben, seine Musik, eine Singer-Songwriter-Komödie.

Felix Mitterer hat ja auch beim Drehbuch von „Märzengrund“ mitgearbeitet. Was hat er da beigesteuert?

Er hat die Vorlage geliefert, ich habe sie adaptiert, filmischer gemacht, und er hat mir dazu Feedback gegeben. Aber er hat das schon an mich abgegeben. Er hatte da so ein Grundvertrauen, weil ihm „Die beste aller Welten“ sehr gut gefallen hat und mir natürlich die „Piefkesaga“.

Er will ja von der „Piefkesaga“ eine Fortsetzung schreiben. Wäre das etwas für Sie?

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Ja, tatsächlich bin ich dafür auch schon im losen Gespräch.

In „Märzengrund“haben sie die Dialoge ins „echte“ Zillertalerisch gebracht, wo sich ja auch das Leben des „echten“ Elias abspielte.

Ja, wobei man sagen muss, das war eine gemäßigte Form des Dialekts. Wir hatten einen Dialektcoach aus Mayrhofen, und ich habe den gebeten, er soll eine Szene so machen, wie wirklich in den 1960ern im Zillertal geredet wurde. Da habe ich kein Wort verstanden!

Wie sind Sie zu Jakob Mader, den Darsteller des jungen Elias gekommen?

Für Elias haben wir einen Open Call gemacht, viele Schauspieler eingeladen, auch Laien, und Jakob war der Beste von den 300, 400. Es war ganz witzig, weil als ich ihm die Rolle zugesagt habe, hat er gesagt: Hm, eigentlich wollte ich auf Maturareise fahren. (lacht) Aber ich glaube, er hat dann nicht bereut, dass er nicht gefahren ist. Ich habe das sehr Elias-like gefunden, dass er da gar nicht so euphorisch war, als er die Rolle gekriegt hat.

Das heißt, es war Ihnen gar nicht so wichtig, alle Rollen mit Profis zu besetzen.

Die Erwachsenen sind alle mit Profis besetzt, bei den Jugendlichen war mir wichtig, dass die Schauspieler so alt sind wie die Figuren. Ich wollte keinen 25-Jährigen, der ausgebildet ist und den dann auf 18 schminken. Das ist peinlich, ich finde, das geht sich nicht aus. 16- und 18-Jährige, so alt sind Iris (Unterberger, Anm.) und Jakob, sind halt noch nicht ausgebildet.

Jakob Mader ist in vielen Szene auf sich selbst gestellt, wahnsinnig schwer für Schauspieler. Wie hat er das gemeistert als Neuling?

Ich habe viel mit ihm geprobt, er war zwei Monate auf einem Almbauernhof, wo er gelebt hat, gearbeitet, den Dialekt gelernt. Das war sicher ein wichtiger Schritt für ihn.

Wo haben Sie die Einsamkeit für den Dreh gefunden?

Einen Teil haben wir im Zillertal gedreht, am Originalschauplatz, wo der „echte“ Elias, Simon hieß er, war. Die hochalpinen Szenen haben wir im Sellraintal auf 2000 Metern gedreht. Das war eine große Herausforderung, auch körperlich. Wir haben die Schauspieler auch danach auswählen müssen, dass die das schaffen.

Die Geschichte beginnt in den 1960ern, es wirkt aber sehr heutig, dass da ein junger Mensch ist, dem die Welt zu viel wird. Hat Sie das gereizt?

Was mich von Anfang an sehr fasziniert hat, dass Simon der einzige Sohn vom reichsten Bauern im ganzen Zillertal war. Der hätte ein Wahnsinnserbe antreten können, der wäre Multi-Multi-Millionär geworden. Der wollte das aber nicht, hat einfach gesagt: Das ist nichts für mich! Das hat mich irgendwie beeindruckt. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich ja selbst in meiner Kindheit sehr arm aufgewachsen bin, und ich hätte es mir immer gewünscht, ein reiches Erbe zu bekommen. Durch diese Geschichte habe ich mir gedacht: Hm, vielleicht war es doch ganz gut so wie es war. Man wird durch Geld einfach nicht glücklich. Es ist einfach so viel wichtiger, von den Eltern Liebe und Geborgenheit zu kriegen, aber das hat Elias überhaupt nicht gekriegt. Von seiner Mutter hat er zuviel Liebe bekommen, sie hat ihn erdrückt, eingesperrt, erpresst mit der Liebe. Und der Vater wollte ihn einfach nur formen, wie er ihn braucht.

Sie haben gesagt, Sie kennen das Gefühl auch, weg zu wollen. Was hat Sie bisher vom Aussteigen abgehalten?

Früher war es der Beruf. Ich wollte mit zwölf schon Regisseur werden, das geht am Berg ein bisschen schwieriger. Und jetzt, wo es ginge, ist es meine Familie. Ich habe zwei Kinder und die Unfreiheit, die ich jetzt als Vater habe, die ist auch schön.

Elias flieht vor der Gesellschaft bis über die Baumgrenze. Das ist schon Fanatismus.

Ja, das stimmt. Was ich an der Figur bewundere, ist die wahnsinnige Konsequenz, die er in seinem Handeln hat. Er hat es so durchgezogen, das ist filmisch auch so wunderbar zu inszenieren. Er hat gesagt, wenn ich alleine bin, dann bin ich wirklich alleine! Dann will ich nichts von Menschen hören, die mir im Weg stehen könnten. Auch sein Selbstmord war total konsequent. Er wusste, dass er nicht mehr auf den Berg kommt, und dann hat er es durchgezogen, mit 62 Jahren. Aber klar, er ist egoistisch! Man muss das auch nicht heroisieren, es war ein ganz egoistisches Handeln, das er da an den Tag gelegt hat.

Das wird ja wunderbar in der Szene sichtbar, wo Elias erkennt, dass er nie ein Opfer für jemanden gebracht hat.

Das ist etwas, was man oft bei den so gerne gesehenen Aussteiger-Dramen vergisst. „Into the Wild“, einer meiner Lieblingsfilme, zeigt das schon super, dass andere darunter leiden. Mir war wichtig, das auch in „Märzengrund“ zu zeigen. Das war etwas, das Felix nicht drin gehabt hat, das habe ich hineingebracht.

In den Bergen beschließt Elias, nicht mehr zu lesen. Da hallt lange die Frage nach, was der Mensch eigentlich zum Leben braucht.

Bei den Menschen, die den Film schon gesehen haben, gehen die Meinungen auseinander, ob Elias glücklich war, ob er egoistisch war usw. Diese Fragen sollen nachwirken. Das ist das, was ich mir immer wünsche! Michael Haneke hat einmal in etwa gesagt, ein Film, bei dem alle Fragen beantwortet sind, den vergisst man nach 20 Minuten wieder. Das sehe ich auch so.

Interview: Mariella Moshammer

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