„Es ist Crossing Europe, nicht alles ist leichte Kost“

Linzer Filmfestival widmet sich unter neuer Doppel-Leitung wieder der Vielfältigkeit Europas und will Kino als sozialen Raum etablieren

Die Leiterinnen von Crossing Europe: Katharina Riedler (l) und Sabine Gebetsroither
Die Leiterinnen von Crossing Europe: Katharina Riedler (l) und Sabine Gebetsroither © Violetta Wakolbinger

Von 27. April bis 2. Mai geht das Linzer Filmfestival Crossing Europe über die Bühne — erstmals unter neuer Führung. Die Leitung haben nach Christine Dollhofer, die als Geschäftsführerin zum Filmfonds Wien wechselte, Sabine Gebetsroither und Katharina Riedler übernommen, die das VOLKSBLATT zu einem Gespräch über Europa, die Liebe zum Film und „Normalität“ traf.

VOLKSBLATT: Crossing Europe ist das Festival zum europäischen Film, ein Europa, das nicht zur Ruhe kommt. Bildet sich das in irgendeiner Form im Festival ab?

KATHARINA RIEDLER: Dadurch, dass Film ein Medium ist, das nicht wahnsinnig schnell reagieren kann, ist es nicht so, dass es Filme gibt, die etwa schon auf die Ukraine-Situation Bezug nehmen. Aber die Pandemie hat sich schon abgebildet. Auch Filme, die nicht direkt auf das aktuelle Geschehen Bezug nehmen, können aber einen Anstoß zum Nachdenken geben. So wird unser Programm auch nicht irgendwie unaktuell.

SABINE GEBETSROITHER: Gewisse Dinge, die zu einem Konflikt wie dem in der Ukraine führen, sei es ein totalitäres Regime, ethnische Konflikte … die sind ja da. Auch wenn ein Film jetzt nicht in der Ukraine spielt, sondern in einem anderen Land, wo es auf politischer Ebene genau diese Mechanismen gibt, ist ja das auch wichtig zu sagen. Was wir etwa mit einem unserer Eröffnungsfilme, „Journey to the Sun“, zeigen wollen: diese massive Auswirkungen eines Krieges auf die Zivilbevölkerung. Kinder, die von der Caritas aus dem Nachkriegs-Wien nach Portugal verschickt wurden, um sich zu erholen. Die Protagonisten, die noch leben, erzählen, wie es war, als Fünfjährige nach Portugal zu kommen, niemanden zu kennen, die Sprache nicht zu können … Es ist uns wichtig, dass man da auch das größere Bild sieht.

Corona hat sich auch in der Art und Weise abgebildet, wie Filme gemacht werden, gerade im Dokumentarfilmbereich. Auch wegen dem Rückzug aufs Zuhause hat man sich sehr mit Familiengeschichten beschäftigt.

Gibt es so etwas wie einen roten Faden im Programm?

RIEDLER: Wir wollten Diversität im Programm haben, dass es da unterschiedliche Dinge zu entdecken gibt, durchaus auch für unterschiedliche Geschmäcker. Es ist Crossing Europe, nicht alles ist leichte Kost.

GEBETSROITHER: Uns ist es auch wieder wichtig, zu zeigen, Europa ist vielfältig. Da sehen wir uns auch in der Tradition von Christine Dollhofer. Und es geht uns neben den Themen schon auch um Filmkunst. Was kann Film in solchen Zeiten? Und als nächsten Schritt wollen wir, dass Kino auch wieder als sozialer Raum ins Bewusstsein zurückkommt.

Sie beide haben lange mit Christine Dollhofer zusammengearbeitet. Wo führen Sie ihre Ideen weiter, wo gibt es einen radikalen Cut?

RIEDLER: Den totalen Cut sehe ich nicht in unserer Arbeit. Wir führen viele Dinge weiter, weil sie funktionieren. Da meine ich auch organisatorische Dinge. Kleinigkeiten haben wir adaptiert, neu gedacht, auch im Programm. So haben wir heuer etwa erstmals ein europäisches Kurzfilmprogramm…

GEBETSROITHER: … oder dass wir mit Fabrice du Welz einen Tribute-Gast haben, der nicht total aus dem Genre-Kino kommt, aber schon ein bisschen mehr gelabelt ist. Man muss aber auch sehr pragmatisch sein. Die vergangenen beiden Jahre waren nicht einfach. Wir müssen dieses Jahr schauen, dass wir uns gut konsolidieren. Der große Umbruch, der kommt so dieses Jahr nicht. Manches wollen wir auch gezielt weiterführen. Wir haben uns zwar geändert, aber Linz hat sich ja nicht geändert. Das, was Christine so erfolgreich aufgebaut hat, war, das Festival passend zu Linz, wie Linz tickt. Man kann viele Ideen haben, aber man muss schon überlegen, ob das zur Stadt passt. Es wäre ein Wahnsinn, ein Red-Carpet-Festival aufziehen zu wollen.

In einer Post-Corona-Phase befinden wir uns ja noch nicht, aber wie „normal“ wird das Festival heuer?

RIEDLER: Wir werden auf jeden Fall Sicherheitsvorkehrungen treffen, das hängt von den aktuellen Regelungen ab. Die wissen wir aber noch nicht, weil die aktuellen vorm Start enden. Aber heuer soll es die Nightline wieder geben, auf jeden Fall zwei Konzerte und jeden Abend ein musikalisches Programm, wo man sich treffen und austauschen kann. Das wird ein Schritt in Richtung Normalität.

GEBETSROITHER: Wobei wir hoffen, dass der Wettergott mitspielt, weil wir einiges am OK-Platz machen möchten. Wenn das Wetter passt, werden sich die Leute da auch wohler fühlen. Großes Fragezeichen ist die Teststrategie, auch fürs Team. Das wird leider alles Last-Minute sein.

Und es werden wieder mehr Gäste kommen …

GEBETSROITHER: Fabrice du Welz wird vier Tage da sein inklusive Tribute-Talk, wo er über sein filmisches Schaffen sprechen wird. Bei den Eröffnungsfilmen sind Sophie Rois und Nicolette Krebitz angefragt.

RIEDLER: Wir widmen das Local Artist Special Dietmar Brehm anlässlich seines 75. Geburtstages. Er hat für uns zwei spezielle Programme aus seinen bisherigen Arbeiten kuratiert. Die sind sehr, sehr schön geworden. Das wird ein Körpererlebnis im Kino und wer Brehm kennt, weiß, was ich damit meine.

GEBETSROITHER: Die sind wirklich komponiert, die muss man im Kino sehen! Dafür sind Kino und Festivals da. Dann haben wir noch ein kleines Linz-Special bei den Local Artists. Dieter Strauch hat einen neuen Film über das Linzer Plattenlabel Shash Records, der wird Weltpremiere bei uns feiern und es wird auch DJ-Sets geben, damit die Gäste ein bisschen Linzer Sound hören.

Das komplette Programm wird erst veröffentlicht, also lasst uns über Sabine und Katharina sprechen. Woher kommt die Liebe zum Film? Und die ultimative Frage nach dem Lieblingsfilm …

GEBETSROITHER: Ich bin in Vöcklabruck in die Schule gegangen, wo es früher das legendäre Austria-Kino gab. Da gab es einen Filmclub und die hatten eine sehr coole Auswahl, da bin ich angefixt worden. Auch während meines Studiums hat sich die Begeisterung für Film fortgesetzt und ich habe Praktika in dem Bereich gemacht. Als Christine Dollhofer und Wolfgang Steininger 2003 mit Crossing Europe in Linz begonnen haben, habe ich gerade zufällig hier gearbeitet und eine Blindbewerbung geschickt. So bin ich bei Crossing Europe gelandet und seit 19 Jahren dabei. Die Frage nach dem Lieblingsfilm ist so schwierig. Ein bisschen tagesverfassungsmäßig ist es „Das Appartement“ von Billy Wilder. Einerseits Komödie, aber auch sehr sozialkritisch und ein irrsinnig schönes Bild von New York.

RIEDLER: Bei mir gab es einen privaten Filmclub, eine Gruppe von Freunden hat sich getroffen und ein, zwei Filme ausgeborgt. Angefangen hat das sehr entspannt, aber es wurde dann immer ambitionierter. Ich habe dann auch begonnen, nachts Filme auf Arte aufzuzeichnen. Meine erste Kinovorstellung habe ich im Moviemento besucht. Ich habe dann auf der Kunstuni in Linz studiert und auch bei kleineren Filmprojekten gearbeitet. Und einer dieser Jobs kam über zwei Ecken von Crossing Europe. Ich kannte das Festival schon, und Christine hat mich dann gefragt, ob ich gerade viel zu tun hätte. Dann hat sie gemeint, sie würde noch jemanden fürs Festival suchen, und da war ich sofort dabei.

Ich tu‘ mir wirklich schwer, einen Lieblingsfilm zu nennen. Aber ein Film, den ich schon wahnsinnig oft angeschaut habe, ist „Sans Soleil“, ein Essayfilm von Chris Marker. Der braucht viel Aufmerksamkeit, erzählt mir aber jedesmal, wenn ich ihn angeschaut habe, neue Dinge. Den finde ich wahnsinnig großartig.

Mit SABINE GEBETSROITHER und KATHARINA RIEDLER sprach Mariella Moshammer

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