„Für d’Neger spielens kane Film“

Achmed Kranzmayr war ein waschechter Mauthausener und jeder im Ort kannte ihn. Der Sohn eines schwarzen US-amerikanischen Jazzmusikers wuchs bei seiner Großmutter mitten in der Marktgemeinde an der Donau auf. In der NS-Zeit musste er viel erdulden, wurde aber vom Schlimmsten verschont. Die außergewöhnliche Geschichte eines kleinen dunkelhäutigen Buben, der in Mauthausen überlebte, ohne ins KZ zu müssen, als Erwachsener aber sein Leben lang an den Folgen der Schreckensherrschaft zu leiden hatte.

Das Videostandbild von Achmed Kranzmayr stammt aus einem Interview, das der Mauthausener Historiker Franz Pötscher im Dezember 2010 mit ihm geführt hat. © KZ-Gedenkstätte Mauthausen

„Die Leute haben eine Freude mit mir gehabt“, erinnerte sich Achmed Kranzmayr in einem mehr als zweistündigen Interview, das der Mauthausener Historiker Franz Pötscher 2010 mit ihm geführt hat.

50 Seiten Transkription daraus geben reichlich Auskunft über das Leben Kranzmayrs und dienen Thomas Zaglmaier, Vermittler in der Gedenkstätte Mauthausen, auch als reiche Quelle für ein Video, das er über Kranzmayr für die Homepage der Gedenkstätte gestaltet.

Achmed wächst zunächst gut integriert auf

Achmeds Mutter war eine von vielen jungen Frauen, die damals, in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit, nach Wien zogen, um sich dort als Dienstmädchen zu verdingen. Bei einem Jazzkonzert am Semmering lernte sie seinen Vater kennen und wurde schließlich schwanger von ihm. Ihren Sohn ließ sie 1932 gleich nach der Geburt bei seiner Großmutter Theresia in Mauthausen, die ihn alleine aufzog. Sein Großvater war schon in den Zwanzigerjahren bei einem großen Hochwasser in Mauthausen ertrunken. Achmed lernte seinen Vater nie kennen. Als er einmal bei seiner Mutter in Wien zu Besuch war, musste er sich im Badezimmer verstecken, als eine Freundin vorbeikam.

Das Bild wurde im Rahmen der anthropologischen Untersuchung von Achmed Kranzmayr 1941 in Wien aufgenommen. ©WStLA

Seine ersten Lebensjahre schildert Kranzmayr als völlig normal und positiv. Er war offensichtlich gut integriert und beliebt, hatte viele Freunde, mit denen er oft an der Donau unterwegs war. Seine Hautfarbe und seine Abstammung schienen keine große Rolle zu spielen. Mit seiner Großmutter, zu der er ein sehr enges Verhältnis hatte, wohnte er mitten im Ort im Schloss Pragstein, wurde 1938 eingeschult und erlebte eine schöne Volksschulzeit. Danach änderte sich jedoch einiges: „Als es Zeit war, die Hauptschule zu besuchen, lehnte man es ab, Achmed aufzunehmen, weil er als so genannter ,artfremder Mischling´ galt“, erzählt Zaglmaier. Der Bub wurde in die letzte Klasse der Volksschule zurückversetzt. Seine Großmutter habe versucht, das durch Privatunterricht auszugleichen, doch außer einer Zitherlehrerin sei niemand bereit gewesen, mit dem Buben zu arbeiten, so Zaglmaier, „aus ideologischen Gründen oder es wurde Druck ausgeübt und die Leute haben sich nicht getraut.“

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In Mauthausen zog in dieser Zeit die NS-Prominenz ein. Weil die neu zu bauende Siedlung für diese Leute noch nicht fertig war, quartierte man sie zunächst in alten Gebäuden mitten im Ortskern ein — in direkter Nachbarschaft zu Achmed und seiner Großmutter. Die fing an, für die Familie von Schutzhaftlagerführer Georg Bachmayer zu arbeiten, die im benachbarten ehemaligen Gasthof zur Post untergebracht war, machte die Wäsche, putzte, kochte für sie. „Das könnte einer der Gründe dafür gewesen sein, dass Achmed verschont geblieben ist“; glaubt Zaglmaier. Dazu kam, dass Achmed mit einem der Söhne von Lagerkommandant Franz Ziereis zur Schule ging. Die beiden Buben pflegten sogar so etwas wie eine Freundschaft und trugen Streitigkeiten aus, wie sie unter Kindern dieses Alters üblich sind – die in keiner Weise etwas mit Achmeds Hautfarbe oder Herkunft zu tun hatten. Achmed, der davon schwärmte, wie viele Spielsachen die Ziereis-Kinder zur Verfügung hätten und welche Aktivitäten sie unternehmen dürften, wurde sogar einmal zu einer Geburtstagsfeier ins Konzentrationslager eingeladen. Seine Großmutter erlaubte ihm aber nicht, dorthin zu gehen, zu groß war die Angst, der Enkel könnte nicht zurückkehren.

Zur anthropologischen Untersuchung nach Wien

Achmed erlebte in der Nazizeit Anfeindungen und litt darunter, ausgeschlossen zu werden. Sein größter Wunsch sei es gewesen, im Alter von zehn Jahren mit den anderen Buben bei der Hitlerjugend sein zu dürfen, so Zaglmaier. Seine Großmutter hatte ihm sogar schon eine HJ-Uniform besorgt und wenn die anderen aufmarschierten, dann trug er sie, wenn er vom Fenster aus sehnsüchtig dabei zuschaute. Die Oma hat die Uniform später verschenkt. Wenn er ins Kino wollte, verwehrten ihm Hitlerjungen den Zutritt wegen seiner Hautfarbe. „Für’d Neger spielens kane Film“, hieß es. Er durfte auch zu keinen Festen und Feierlichkeiten im Ort. Unter den NSDAP- und SS-Leuten unter den Mauthausenern regten sich viele Stimmen, die Achmed ganz offen im Lager sehen wollten.

Für eine anthropologische Untersuchung schickte man den Buben 1941 nach Wien ins Hauptgesundheitsamt, weil er, wie erwähnt, galt als artfremder Mischling: Ohne sein Wissen wurde er dort zwangskastriert und sollte erst viele Jahre später davon erfahren.
Achmed musste wie alle anderen im Ort auch miterleben, wie regelmäßig KZ-Häftlinge durch Mauthausen getrieben wurden. Der Bahnhof liegt im Osten, das Konzentrationslager im Westen des Ortes. Auch bei Arbeiten außerhalb des Lagers sah man viele Häftlinge. Neben dem Schloss Pragstein befand sich eine fliegende Brücke, wo Häftlinge Zwangsarbeit verrichten mussten. Zaglmaier: „Die Leute bekamen im Laufe des Krieges immer mehr mit.“

Maskottchen der dunkelhäutigen GIs

Als die Amerikaner dann das KZ Mauthausen im Mai 1945 befreiten, entdeckten GIs Achmed und waren verwundert darüber, dass er überlebt hatte. Der Bub erhielt von den dunkelhäutigen Soldaten Geschenke, durfte im Jeep mitfahren. Zaglmaier: „Sie betrachteten ihn als eine Art Maskottchen.“ Das und seine Abstammung könnten seine spätere Vorliebe für amerikanische Straßenkreuzer erklären.
Schon bald nach dem Krieg sollte Achmed seine mangelhafte Bildung einholen. Er konnte lange Zeit nicht gut lesen und schreiben und deshalb erst spät den Führerschein machen. Lange musste er sich mit Gelegenheits- und Hilfsarbeiterjobs durchkämpfen, bis er es schaffte, bei der DDSG einen Job zu bekommen, wo er 15 Jahre blieb. Er machte dort das „Steuermannpatent“. Später hatte er noch Jobs bei den Ennskraftwerken und lenkte große Baumaschinen, was er im Interview als seinen Karriere-Höhepunkt bezeichnete. Darin beklagt er auch, nie Unterstützung von Opferorganisationen erhalten zu haben, weil er nicht im KZ war. Und er war drei Mal verheiratet. Seine ersten beiden Ehen sollen letztlich daran gescheitert sein, dass er keine Kinder zeugen konnte. Achmed adoptierte ein Kind, das jedoch unter tragischen Umständen ums Leben kam. Von Details der Zwangskastration hatte er erst spät von einem Historiker, der recherchierte, was die Nazis Kindern wie ihm angetan hatten, erfahren.
Sein altes Ansehen aber bekam Achmed Kranzmayr in seinem Heimatort, wo er mit seiner letzten Frau Martha bis zu seinem Tod 2011 lebte, von vielen Mauthausenern wieder zurück.

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