„Für mich ist Kino ein Exorzismus“

Crossing Europe: Filmemacher Fabrice du Welz über Faschismus, Unschuld und das wirklich Böse

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Dem belgischen Filmemacher Fabrice du Welz ist das Tribute des Crossing Europe Filmfestivals in Linz gewidmet. Du Welz’ Werk bewegt sich zwischen Thriller und Horror. Das VOLKSBLATT traf den 49-Jährigen.

VOLKSBLATT: Künstler erzählen Geschichten. Welche sind es, die Sie mir Ihren Filmen dem Publikum mitgeben?

FABRICE DU WELZ: Ich versuche, Themen zu finden, um gutes Kino zu kreieren. Ich habe keine intellektuelle Herangehensweise, ich arbeite vielmehr instinktiv. Wenn ich starken Stoff finde, fühle ich das in meinem Körper. Wenn man schon ein paar Filme gemacht hat, neigt man dazu, sie zu intellektualisieren. Ich lehne das ab, weil ich denke, die Filme sprechen für sich selbst.

Sie arbeiten viel mit Symbolen. Ich denke, das ist ja das selbe Thema: Müssen die Zuschauer diese Zeichen intellektuell verstehen, oder funktionieren sie emotional?

Sie können das machen, wie sie wollen. Manchmal überwältigt mich die Symbolik selbst. Manchmal, wenn der Film ins Kino kommt, schreiben Kritiker, das Symbol meine das und jenes — und ich war mir dessen gar nicht bewusst. Manchmal ist es wie seltsame Alchemie, Filme zu machen. Du beginnst mit einer Seite, bringst Licht und Charaktere auf die Leinwand und Emotionen. Und du weißt nicht genau wohin du gehst.

Für mich ist ein großes Thema in Ihren Filmen die Angst. Inwieweit fließen Ihre eigenen Ängste in Ihr Werk ein?

Sehr! Für mich ist Kino ein Exorzismus. Alle meine Ängste, Obsessionen, Leidenschaften und in gewisser Weise Perversitäten, es ist ein Konzentrat daraus. Mein Leben als Filmemacher, als Mann, alles ist sehr eng beieinander. Ich benutze mein Leben als etwas, das ich im Film transportiere — natürlich in einer extremeren Art und Weise.

Es ist also nicht Ihr Leben, das wir da auf der Leinwand sehen.

Aber es ist sehr nahe dran. Es ist immer die Existenzangst, um die es geht, die vor der Umwelt. Es berührt immer eine recht unkomfortable Zone. Ich bin kein besondern bequemer Regisseur, ich weiß das. Das ist auch nicht das, was ich machen will. Ich will keine komfortablen Filme machen, dafür gibt es Netflix. Ich will mich ins Innerste der Zuschauer wühlen, ich will da bleiben, damit sie vielleicht lange über die Bilder, die sie gesehen haben, nachdenken.

Würden Sie in Ihren Filmen noch weiter gehen, wenn der Markt das zulassen würde?

Nein, ich denke nicht. Viele sagen, ich wäre ein Provokateur. Aber ich will nicht provozieren, ich versuche, ehrlich zu sein. Manchmal siehst das sehr provokativ und extrem aus, aber das ist nicht meine Absicht.

Die Frauen und Männer in Ihren Filmen, verbindet die ein ewiger Kampf oder ist es doch Liebe?

Schauen Sie sich um, es ist kompliziert. Ja, es gibt gewisse Konstante. Männer in meinen Filmen sind immer kalt, pervers und in gewisser Weise schwach. Frauen meistens extrem und absolut. Für mich ist ein Paar die kleinste Zelle von Faschismus. Immer versucht einer dem anderen seine Version aufzuzwingen. Wenn man dieses Idee ins Extreme treibt, dann wird das gutes Kino.

Im Zusammenhang mit Ihren Filmen wird häufig Ihre Zeit in einem katholischen Internat erwähnt. Welchen Einfluss hatte die auf Sie?

Ich war zwischen sieben und siebzehn im Internat, und das war sehr dramatisch. Ich bin nur mit Burschen aufgewachsen und der Angst vor Frauen, dem anderen Geschlecht. Heute bin ich völlig geheilt, ich liebe Frauen natürlich. Aber wenn man mit dem Kreuz über einem aufwächst … Die Priester haben uns auch viel Bildung mitgegeben. Ich bin heute auch deswegen ein sehr neugieriger Mann, aufs Kino, aufs Leben. Auf der anderen Seite war diese ganze Symbolik sehr prägend. Ich fühle mich dem sehr verbunden, dieser Unmöglichkeit, Geheimes zu erreichen, den eigenen Impulsen zu begegnen, sie nicht kontrollieren zu können. Das ist wie die Unmöglichkeit alleine zu sein und die, ein Paar zu sein.

In Ihrem aktuellen Film „Inexorable“stößt das Kindermädchen Gloria zu einer scheinbar perfekten Familie und entwickelt sich zu einem wahren Teufel. Aber sie ist nicht die einzige …

Eigentlich ist jeder ein Opfer. „Inexorable“ ist klar ein Thriller, aber auch ein Film noir. Ein Freund hat einmal zu mir gesagt, die beste Definition eines Film noir ist, dass es darin nur Opfer gibt. Auch hier gibt es nur Opfer, sogar der Hund. Aber gleichzeitig ist niemand unschuldig.

Was ist denn Ihr nächstes Projekt? Werden wir je ein „feel good“-Movie von Fabrice de Welz sehen?

Mein nächstes Projekt basiert auf dem Fall Marc Dutroux (Serienmörder, Anm.). Das ist natürlich absolut kein „feel good“-Movie. Ich will diesen Film seit 15 Jahren machen. Der Film wird im Polizeimilieu spielen und sich mit der Frage beschäftigen, was das wirklich Böse ist.

Mit FABRICE DU WELZ sprach Mariella Moshammer

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