Gebildete Diktatoren, gewiefte Widerständler

Stifterhaus: Thomas Arzt, Schriftsteller aus Schlierbach, über „Spuren der Gerechtigkeit“

Autor Thomas Arzt, Fragenstellerin Regina Pintar. Im Hintergrund die Stifterhaus-Ausstellung zu Ilse Aichinger (noch bis 21. 6.).
Autor Thomas Arzt, Fragenstellerin Regina Pintar. Im Hintergrund die Stifterhaus-Ausstellung zu Ilse Aichinger (noch bis 21. 6.). © Stifterhaus/Katterbauer

Das Jahr 1627: Ein Henker, der mit den aufständischen Bauern sympathisiert, aber zum Broterwerb die Aufträge der Herrschenden auszuführen hat. 1853: Ein liberaler Wirt in Goisern, Konrad Deubler, der ins Visier der nachrevolutionären Ordnungshüter gerät.

1984: Aktivisten in Linz, die gegen ein Kraftwerk im Hintergebirge protestieren. Diesem „Häuflein Menschen“, sagt Autor Thomas Arzt, sei in der Folge heute der Nationalpark Kalkalpen zu verdanken.

In seinem ersten Roman „Die Gegenstimme“ (Residenz 2021) hatte Thomas Arzt von einem Mann erzählt, der 1938 als einziger in seinem Dorf gegen den „Anschluss“ an Hitlerdeutschland stimmte.

Formen des Widerstandes interessieren Arzt – davor war er etwa mit Stücken für das Linzer Theater Phönix öffentlich präsent – auch in seinem Erzählprojekt mit dem Arbeitstitel „Spuren der Gerechtigkeit“. Packende Storys nach ausgiebiger Recherche, am Montag las Arzt im Linzer Stifterhaus und sprach mit Regina Pintar, der Leiterin des Literaturhauses.

Macht über die Toten

Geschichte „von oben“ sei die Norm, sagt Arzt, aber „die Chronik des Landes“, im konkreten Fall Oberösterreichs, „von unten oder von der Seite zu erzählen – vielleicht hilft das“.

Plastisch greifbar wird in drei Texten, was in vermeintlich ferner (das kollektive Denken hat´s konserviert) oder auch näherer Vergangenheit geschah. Der Henker, der den exhumierten Bauernführern Stefan Fadinger und Christoph Zeller noch extra die Köpfe abschlagen musste: Die Macht demonstriert ihre Allmacht.

Wie reagiert die Macht auf Widerstand? Arzt meint ein Muster erkannt zu haben, von den Bauernkriegen bis zu Umweltaktivismus. Neben Handelsüblichem (Gewalt, Feindbildkreationen) fiel Arzt regelmäßig eine „Zermürbung des Aufstands“ auf, 1848 etwa das Versprechen einer neuen Verfassung binnen eines Jahres. „Es gibt so etwas wie einen langen Atem des Unrechts“, sagt Arzt. Die Herrschenden bräuchten ihre Ansichten nur in Gesetze zu gießen. Mühsam, diese Gesetze juristisch zu bekämpfen, und immer auch „eine Frage des Geldes“.

Was hilft gegen Ungerechtigkeit, gegen permanentes Unrecht? Regina Pintar nennt Adalbert Stifters Ideal der „Bildung“. Dem traut Arzt nicht. Scheinbar sei „systemimmanent, dass Bildung Gier nicht ausschließt oder Selbstherrlichkeit. Geschichte lehrt, dass Diktatoren oft nicht die ungebildetsten Menschen waren.“

Großartiger Abend, Fragen bohrten nach. Diese doofe Bildung. Hilft Distanz zu sich selbst? Die Fähigkeit zur Selbstironie? Wo und wie lässt sich das lernen?

Von Christian Pichler

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