Geisterspiele: Fluch oder Segen?

Debatte über Saison-Fortsetzung ohne Fans spaltet die Fußballwelt

Nicht nur in Südkorea, wo seit gestern wieder Fußball gespielt wird, stehen die Stadien leer. Über die Sinnhaftigkeit von Geisterspielen herrscht Uneinigkeit.
Nicht nur in Südkorea, wo seit Freitag wieder Fußball gespielt wird, stehen die Stadien leer. Über die Sinnhaftigkeit von Geisterspielen herrscht Uneinigkeit. © AFP/Yeon-je

Die deutsche Fußball-Bundesliga setzt ihre Saison ab kommendem Wochenende mit Geisterspielen fort, Südkorea startete am Freitag, in Dänemark, Norwegen, Bulgarien, Serbien, der Türkei und einigen anderen Ländern gibt es konkrete Pläne.

Auch Italien, Spanien oder England hoffen auf eine Fortsetzung, während die Saison in Frankreich oder den Niederlanden abgebrochen wurde. Schlüssige Argumente gibt es für beide Szenarien.

PRO GEISTERSPIELE

Sportliche Fairness

Jede Entscheidung, die nicht am grünen Tisch, sondern am grünen Rasen getroffen wird, trägt zu einer fairen Wertung in Meister-, Auf- und Abstiegs- oder Europacupfrage bei. Auch einer möglichen Welle an juristischen Nachspielen wird so entgegengewirkt.

Wirtschaftliche Lage

Vor allem in den Topligen ob der hohen TV-Gelder ein wichtiges Argument für eine Fortsetzung. Die Deutsche Fußball Liga hat vorgerechnet, dass bei einem Abbruch rund 750 Mio. Euro fehlen würden. Zahlreiche Klubs wären von der Insolvenz bedroht.

Berufliche Existenz

Den Fußballprofis wird gern eine Sonderrolle attestiert. In erster Linie wollen die Kicker aber ihrem Beruf nachgehen, wie es in anderen Wirtschaftsunternehmen der Fall ist.

Profis wollen Beruf ausüben

„Da sind wir in der gleichen Situation wie die Gastronomen oder Hoteliers. Es geht auch um zukünftige Karrieren“, erklärte Austria-Wien-Vorstand Markus Kraetschmer. In Österreich sind die Profis weit davon entfernt, während der aktiven Karriere ausgesorgt zu haben. Vor allem in kleinen Klubs unterscheidet sich der Verdienst kaum von jenem eines „normalen“ 40-Stunden-Jobs.

Arbeitsplätze

Auch sämtliche Mitarbeiter in den Vereinen und Verbänden wollen ihren Beruf ausüben. Wenngleich das für viele ob fehlender Gastronomie oder ausbleibenden Ticketverkaufs auch bei Geisterspielen nur eingeschränkt oder gar nicht möglich ist.

Vorbildwirkung

Gelingt es dem Fußball, mit gutem Beispiel und funktionierendem Konzept voranzugehen, kann das für viele andere Sportarten eine wichtige Signalwirkung sein. Gleiches gilt für den Amateur-, Breiten- und Nachwuchssport.

Geringe Ansteckungsgefahr

Rampenlicht

Der Fußball kehrt in die Öffentlichkeit und damit ein Stück weit ins Rampenlicht zurück. Das ist nicht nur für die Zeit nach Corona existenziell, sondern auch für die Nachwuchsabteilungen von großer Bedeutung, damit Kinder den Bezug zum Sport nicht verlieren.

Konzept

Gelingt es, ein schlüssiges Konzept auf die Beine zu stellen, so wie es in Deutschland der Fall zu sein scheint, spricht nichts gegen einen Restart. Zumal die Ansteckungsgefahr während der Spiele ob der verpflichtenden Testungen minimal ist. „Wenn wir alle drei Tage testen — viel mehr Risikominimierung geht nicht“, sagte Österreichs Ligachef Christian Ebenbauer.

Fehlende Alternative

Verzichtet man auf Geisterspiele, könnte das einen monate- oder im schlimmsten Fall (bei ausbleibendem Impfstoff) jahrelangen Stillstand bedeuten. Das würden der Fußball und seine Klubs nicht überleben.

CONTRA GEISTERSPIELE

Gesundheit

Ohne Zweifel muss die Gesundheit stets obere Priorität genießen. Trägt der Fußball dazu bei, dass Infektionszahlen steigen und sich das Virus wieder verbreitet, muss die Notbremse gezogen werden. Positive Fälle könnten Lücken im Konzept offenbaren, ein Restrisiko bleibt.

Folgeschäden

Gleiches gilt für infizierte Spieler, was mögliche Folgeschäden betrifft. „Ein Sportler sollte sich schon Gedanken darüber machen, dass eine Infektion das Karriereende sein kann“, sagte Sportmediziner Wilhelm Bloch in der ARD. Die veränderte Atmung bei hoher Belastung erhöht das Risiko.

Kein Umdenken

Viele Ligen wollen die Saison mit aller Macht und so schnell wie möglich über die Bühne bringen, vorrangig aus finanziellen Interessen. Die Hoffnung, den Sport unter dem Motto „zurück zu den Wurzeln“ wieder näher an die Fans zu bringen, scheint sich zu zerschlagen, ein Umdenken bleibt offenbar aus.

Spieler gefährdet

Verletzungsrisiko

Der geballte Kalender lässt vermuten, dass die Spieler nur eine untergeordnete Rolle im Konstrukt Profifußball einnehmen. In Deutschland kehren die Kicker nach teils einer Woche im Mannschaftstraining in den Spielbetrieb zurück. Die Akteure hielten sich in Kleingruppen fit, Spiele unter Wettkampfbedingungen bedeuten aber noch wesentlich höhere Anforderungen an den Körper.

Wirtschaftliche Lage

Für kleinere Klubs sind Geisterspiele existenzbedrohend. Die TV-Gelder stellen nur einen geringen Anteil vom Budget dar, die Vereine sind auf Einnahmen von Heimspielen aus Gastro, Ticketing und Sponsoring angewiesen. Hinzu kommt das Ende der Kurzarbeit, zugleich müssen Ausgaben für Testungen gestemmt werden. Bundesligist LASK kosten die täglichen Tests bis zu 5000 € pro Tag.

(Keine) Normalität

Fans

Viele Anhänger befürchten eine weitere Kommerzialisierung und Entfremdung des Fußballs durch das Ausbleiben von Stimmung und Zuschauern in den Stadien. Eine Rückkehr zur Normalität sehe anders aus, meinte der deutsche Ethiker Steffen Augsberg: „Geisterspiele gaukeln nicht einmal Normalität vor, sondern verdeutlichen vor allem, wie unnormal die Zustände sind.“

Sonderrolle

Werden dem Fußball im Vergleich zu anderen Sparten oder Sportarten zu viele Zugeständnisse gemacht, wird schnell der Vorwurf von unverhältnismäßigen Privilegien laut. „Mich wundert, dass wir auf die Bundesliga-Debatte so viel Energie verwenden. Sie ist ein Beispiel für geschicktes Lobbying“, so Augsberg.

Fazit

Das Thema ist auch ob unterschiedlicher Voraussetzungen in den diversen Ligen viel zu komplex, um die Sinnhaftigkeit von Geisterspielen pauschal zu beantworten. Fakt ist aber, dass Geisterspiele ein Ablaufdatum brauchen. Auf Dauer kann der Fußball ohne Fans nicht überleben.

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