Getötete 17-Jährige: Für Experten „kein klassischer Femizid“

Die Tötung einer 17-Jährigen in Tirol mutmaßlich durch ihren Freund und dessen anschließender Suizid ist für den Gerichtspsychiater Reinhard Haller kein „klassischer Femizid“.

Um klassische Femizide handle es sich bei einem Großteil der Frauenmorde in Österreich. Dabei haben sich die Täter im Anschluss nicht umgebracht und die Frauen – so unfassbar es klinge – sogar aus ihrer Sicht mit einer gewissen „Rechtfertigung“ oder „Stolz“ getötet, sagte Haller im APA-Gespräch.

Im jetzigen Tiroler Fall war vermeintlich sehr starke Emotion und eine enorme Verzweiflung auf Täterseite im Spiel, mutmaßte er. Es handle sich offenbar – wie es im Fachjargon heißt – um einen „erweiterten Mord“. Aus der Ferne betrachtet dürfte es wohl primär so gewesen sein, dass sich der junge Mann an der Freundin rächen und dann so nicht mehr leben wollte.

„Das ist etwas ganz anderes, wie wenn es zu diesen sogenannten ‚Morden aus Liebe‘ kommt“, so Haller. Hier hätten offenbar in erster Linie „egoistische und nicht aus Sicht des Täters ‚altruistische Motive‘, wie es bei einem erweiterten Selbstmord der Fall wäre“, eine Rolle gespielt.

In diesem Alter seien die Emotionen besonders stark, etwa wenn man das erste Mal richtig verliebt ist, schilderte Haller, der auch als Bestsellerautor reüssierte. „Das Konzert der Sexualhormone bzw. aggressiven Hormone beginnt in einem solchen Alter oft auf einem besonders hohen Niveau zu spielen. Das trägt dazu bei, dass es zu solchen Tragödien kommen kann“, erklärte der Experte.

Generell würde es in einem solch jungen Alter zwar öfter zu Selbstmordversuchen kommen, diese aber mehrheitlich dann nicht vollzogen werden: „Das Verhältnis von Selbstmordversuchen und dann tatsächlich vollzogenem Suizid ist bei Menschen dieses Alters 20 zu eins, bei Älteren hingegen zehn zu acht.“ Fälle wie in Reutte mit Tötung und anschließendem Selbstmord würden in Österreich selten vorkommen – rund „fünf bis achtmal im Jahr“.

Indes gab Haller einen weiteren wichtigen Aspekt zu bedenken. Man müsse nun „aufpassen“, dass aus der Brücke, von der der 18-Jährige gesprungen ist, nicht ein Ort werde, an dem vermehrt Suizide verübt würden. Denn die Nachahmungseffekte von solchen tragischen Ereignissen seien nicht zu unterschätzen, betonte der Vorarlberger Facharzt für Psychiatrie und Neurologie.

Hilfsangebote für Personen mit Suizidgedanken und deren Angehörige bietet das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums. Unter www.suizid-praevention.gv.at finden sich Kontaktdaten von Hilfseinrichtungen in Österreich. Infos für Jugendliche gibt es unter www.bittelebe.at.

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