„Habe sehr mit dem Dino gekämpft“

Debütroman „Triceratops“ des Linzer Autors Stephan Roiss für Deutschen Buchpreis nominiert

Der in Linz geborene Autor Stephan Roiss
Der in Linz geborene Autor Stephan Roiss © www.detailsinn.at

Stephan Roiss, 1983 in Linz geboren, ist Musiker, Hörspielautor und Schriftsteller. Sein Debütroman „Triceratops“ steht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Roiss über Schutzpanzer, Verletzungen und das Durchbrechen eines Fluchs.

VOLKSBLATT: Für Auszüge aus „Triceratops“ erhielten Sie bereits 2016 den Förderpreis des Literaturwettbewerbs FLORIANA. Demnach gingen Sie lange schwanger mit dem Buch?

STEPHAN ROISS: Der Stoff hat mich schon mehr als zehn Jahre beschäftigt. Die Entscheidung, dass ich daraus einen Roman formen möchte, ist aber erst etwa 2015 gefallen.

Wann stand Triceratops, ein sehr robuster Dinosaurier, als Fetisch der Geschichte fest?

Irgendwann ist der Dinosaurier im Text aufgetaucht und ich habe erkannt, dass sich viele seiner Eigenschaften bildhaft auf den Protagonisten des Romans übertragen lassen. Beide sind Defensivkünstler, halten viel aus, aber beginnen den Kampf nicht. Beide streben nicht in die Höhe, bleiben der Erde treu. Beide leben in der Vergangenheit.

„Triceratops“ wirkte auf mich wie eine schamanistische Traumreise, um die Schatten der Vergangenheit zu bannen. Was schwebte Ihnen vor?

Sehr vieles. Zum Beispiel ein Bewusstsein, das genau beobachtet und mit seinen Beobachtungen an die Welt herantritt. In der Hoffnung, irgendwas oder irgendjemand da draußen könnte leisten, was es selbst nicht vollbringen oder zulassen kann: Einordnung, Analyse und Empfindung, aufrichtiges Mitgefühl und Liebe letztlich. Zum Beispiel ein Mensch, der sich einen Schutzpanzer zulegt, der ihn vor Verletzungen schützt, zugleich aber auch vor wirklicher Berührung. Zum Beispiel ein allerletzter Akt der Erinnerung, um endlich einen Abschluss zu finden und ein Leben beginnen zu können.

Die Dichterin Christine Lavant begründete ihren Wechsel zur Lyrik einst damit, dass sie in der Prosa zu viel von sich preisgebe. Wie viel Preisgabe steckt in „Triceratops“? Oder ist die Frage unsittlich?

Erstens: Die Frage ist nicht unsittlich, doch sie ist zeitgemäß. Ein Text wie „Triceratops“ muss damit rechnen, dass diese Frage an ihn herangetragen wird. Gerade in einer Zeit, in der sich die Grenzen zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen zunehmend auflösen. In der die Tendenz vorherrscht, dass sich Kunst nicht verkauft, weil sie gut ist, sondern weil die Person des Künstlers öffentliches Interesse weckt — etwa, indem sie nachweislich in ihrer Kunst ihr Innerstes nach außen kehrt.

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Zweitens?

Ich bin der Überzeugung, dass ein Buch weder besser noch schlechter wird, wenn man weiß, dass es autobiografisch ist. Drittens: Es gibt weder die absolute Autobiografie noch die pure Fiktion. Überall steckt das Leben der Person, die den Text verfasst hat. Andererseits muss selbst die redlichste Autobiografie auswählen, glätten, vereinfachen, abkürzen, erfinden. Literatur ist nicht Leben — und sollte es auch nicht werden, denn ansonsten würde sie ihren Gegenstand verlieren, und damit ihre kritische Distanz. Viertens: „Triceratops“ ist keine Autobiografie.

Die Sätze im Buch wirken sorgfältig geschliffen. Fliegen solche Sätze zu, oder meißeln Sie ewig dran?

Mag sein, dass mir manche Sätze „zugeflogen“ sind, aber selbst wenn: auch diese wurden sorgfältig überprüft. Das Buch hat sich selbst viele Gesetze auferlegt. Ich habe sehr mit dem Dino gekämpft und ihn zwischendurch sogar einmal aufgegeben. Um zu funktionieren, muss dieser Text sprachlich sehr präzise sein. Ich habe das Beste gegeben, was mir zum Zeitpunkt der Fertigstellung möglich war.

Die Tante, eine Frau mit Esoterik-Neigungen, spricht vom Fluch, der auf der Familie lastet. Unabsichtlich die Wahrheit? Der Fluch, das Leben der Eltern nochmal leben zu müssen, auch wenn wir das Gegenteil anstreben?

Darüber will ich nicht urteilen. Nur so viel: Nimmt man den Fluch als Gleichnis, steckt meines Erachtens Wahrheit in diesem Begriff. Man muss nicht der Esoterik anheim fallen, um anzuerkennen, dass psychosoziale Probleme und Dysfunktionalitäten von Generation zu Generation weitergegeben werden. Es sei denn, jemand findet das Glück und die Unterstützung und die Kraft und die Vernunft und die Liebe, um die Kette der Vererbungen zu unterbrechen und den „Fluch“ aufzulösen.

Durch die Buchpreis-Nominierung haben Sie plötzlich im Literaturbetrieb „einen Namen“. Wohin soll künftig die schöpferische Reise gehen?

Das nächste Großprojekt ist das zweite Album meiner Band „Äffchen & Craigs“, das im Frühjahr 2021 erscheinen soll. Was die Literatur betrifft, werde ich v.a. die Arbeit an meinem zweiten Roman vorantreiben. Ich freue mich sehr auf das Ausarbeiten einer neuen Welt, einer neuen Sprache. Ich glaube, mein zweiter Roman wird ganz anders: breiter, bunter, spielerischer. Und ich will in naher Zukunft einen Lyrikband fertigstellen.

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