Horrible Visionen zu brillanter Musik

Jubiläums-Festspiele starten mit neu geformter „Elektra“

Ausrine Stundyte (Elektra) und Tanja Ariane Baumgartner (Klytämnestra)
Ausrine Stundyte (Elektra) und Tanja Ariane Baumgartner (Klytämnestra) © APA/Gindl

In der durch das Corona-Virus unsicheren Welt setzen die Salzburger Festspiele zum 100-Jahr-Jubiläum ein Zeichen: Mit „Elektra“ begann am Samstag die stark reduzierte Zahl der Aufführungen.

Vor dem Haus für Mozart gab es, als die Besucher Richtung Felsenreitschule pilgerten, eine friedliche Demonstration gegen die geplante 380-kV-Leitung. Da wusste man noch nicht, dass Krzysztof Warlikowskis Inszenierung in einer Horrorvision von der Zukunft unseres Lebensraumes enden würde.

Warlikowski wollte eindeutig zu viel. Er öffnete uns die Welt der Atriden durch ein höchst überflüssiges Vorspiel. Er versuchte, die Charaktere der Klytämnestra und ihrer Töchter Elektra und Chrysothemis begreiflicher zu machen, ihre Handlungen nicht eindimensional zu betrachten. Vor allem aber versuchte er einen Blick in die Zukunft, der uns anstelle des Todestanzes der Elektra eine Video-Version der Zerstörung unseres Planeten lieferte, die im Chaos der Corona-Krise ihren Ausgang nimmt.

Warum viele der Ideen in diesem Fall nicht nötig sind, beweisen Hugo von Hofmannsthal als feinsinniger Wiener Literat und Richard Strauss als bodenständiger bayerischer Komponist genau mit diesem Musikdrama. Den beiden Giganten ging es in ihrer ersten Zusammenarbeit darum, ein packendes Musikdrama zu schaffen. Uraufgeführt wurde es 1909 in Dresden und beweist demnach 111 Jahre seine Gültigkeit.

Warlikowskis Gedanken zu den Protagonistinnen sind interessant. Er ordnet die Gemütslage von Klytämnestra und ihrer Töchter insofern, als er die von ihnen erlittenen Schicksalsschläge zu einer neuen Sicht für ihre Taten markiert. Vor allem Elektra bekommt eine neue Facette, indem ihr Hass auf ihre Mutter, aber vor allem auf Aegisth glaubhafter wird.

Welser-Möst entfacht ein musikalisches Feuerwerk

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Bühnenbild und Kostüme hinterließen einen eher uneinheitlichen Eindruck. Malgorzata Szczesniak verbirgt die Arkaden der Felsenreitschule, benötigt doch die Regie die Flächen spätestens ab dem Tod der Klytämnestra für seine Horror-Visionen. Diese lebt mit ihrem Stab in einer altmodischen Wohnung hinter Plexiglas. Die Handlung läuft in einer hässlichen, mit monströsen Duschen bestückten Schwimmhalle ab. Zeitlich gelingt keine Einordnung, zumal die Kostüme in verschiedene Epochen gehören. „Elektra“, ein zeitloses Drama.

Wichtig ist die Kompetenz des musikalischen Leiters Franz Welser-Möst. Mit den Wiener Philharmonikern entfacht er ein musikalisches Feuerwerk, das auch neue, von Warlikowski entdeckte Details der Charakterzeichnungen berücksichtigt, wobei sich fallweise neue musikalische Ebenen öffnen.

Mit Ausrine Stundyte als Elektra steht eine imposante, kindlich verletzbare Titelheldin zur Verfügung, die bis ins kleinste Detail für musikalische und darstellerische Präsenz sorgt. Asmik Grigorian, die phänomenale Salzburger Salome von 2018 und 2019, schlüpft in die Rolle der nur scheinbar lyrisch motivierten Partie der sanften Chrysothemis und zeigt neue Facetten dieser lebenslustigen Frau.

Tanja Ariane Baumgartner als Klytämnestra strahlt begründete Furcht aus, etwas mehr Dramatik würde nicht schaden. Aus dem großen Ensemble stechen Michael Laurenz in der undankbaren Tenor-Partie des Aegisth und Derek Woltron als Orest hervor, der nach mehr Morden als nötig selbst verletzt zwischen Orchestergraben und Publikum den Saal verlässt. Die Publikumsresonanz war maskenbedingt zurückhaltend, die Meinungen über die Regie zweigeteilt.

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