„Ich bin immer noch ein Mensch des Lagers“

Iakovos Kambanellis (1921-2011) wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf Naxos auf und wurde zu einem der bekanntesten und populärsten Schriftsteller Griechenlands. Seine u. a. von Mikis Theodorakis vertonten Texte singen die Griechen heute noch vielerorts. Den großen Autor hat seine Zeit im KZ Mauthausen, an die er sich in seinem Roman „Die Freiheit kommt im Mai“ erinnerte, jedoch nie losgelassen.

Am 5. Mai 1945 um 11.30 Uhr traf ein Trupp der US-Armee beim Konzentrationslager ein. Die Tore öffneten sich, Häftlinge strömten heraus, um ihre Befreier zu begrüßen. © APA/Innenministerium/HT

Als junger technischer Zeichner verließ Iakovos Kambanellis Anfang 1943 gemeinsam mit einem Freund das von den Deutschen besetzte Griechenland. „Er hatte davon gehört, dass man in Wien für ein paar Stangen Zigaretten an einen falschen Pass kommen könnte“, erzählt Verleger Franz Richard Reiter, der Kambanellis Buch 2010 in der Übersetzung von Elena Strubakis erstmals auf Deutsch herausgebracht hat.

Die beiden jungen Männer machten sich auf den Weg, organisierten sich Pässe und wollten weiter in die Schweiz. In Tirol gerieten sie jedoch in eine Kontrolle, die vielen Zeichnungen, die Kambanellis im Gepäck hatte, führten dazu, dass man sie für Spione hielt.

Kambanellis und sein Freund wurden zuerst ins Gestapo-Gefängnis in die Wiener Roßauer Kaserne gebracht, wenig später überstellte man Kambanellis im Frühling 1943 als politischen Häftling ins KZ Mauthausen, wo er bis zur Befreiung inhaftiert blieb.

Kambanellis Erinnerungsroman, der zunächst in Fortsetzungen in Tageszeitungen und 1963 schließlich unter dem Titel „Mauthausen“ als Buch in Griechenland erschienen ist, ist sehr persönlich und emotional geschrieben.

Die furchtbare Zeit im Konzentrationslager ließ Iakovos Kambanellis sein Leben lang nicht mehr los. ©wiki/Katerina I.Kampanellis

„Eine Mischung aus Fakten und Fiktion, vieles ist historisch verbürgt“, sagt Christian Angerer aus dem Vermittlungsteam der Gedenkstätte Mauthausen. Kambanellis beginnt mit der Befreiung des Konzentrationslagers durch die Amerikaner im Mai ’45. Dann erinnert er sich immer wieder in Vor- und Rückblicken an die Tage nach der Befreiung und die schreckliche Zeit der Haft, während der er mehrere Male nur knapp dem Tode entgangen ist.

Im Eilschritt zur Exekution

Nach der für Neuankömmlinge üblichen Quarantäne wurde Kambanellis einem Arbeitskommando zugeteilt. Gemeinsam mit anderen Häftlingen, darunter viele sowjetische, die, so Angerer, von der SS besonders brutal drangsaliert worden seien, musste er an der Donau Sand schaufeln und miterleben, wie zwei Russen von der SS erschossen wurden, weil sie einem Befehl nicht Folge geleistet hatten.

Einige Monate musste Kambanellis auch im gefürchteten Steinbruch arbeiten, weiters in einem Arbeitskommando in der Nähe von St. Georgen, das sich mit den Bauplänen der SS beschäftigte. Dort gerieten Kambanellis und die anderen Häftlinge ins Visier eines SS-Aufsehers. Der SS-Mann beschloss, das gesamte Arbeitskommando exekutieren zu lassen, und ließ die Häftlinge zu diesem Zweck im Eilschritt zurück ins KZ marschieren. Auf den letzten Metern den Hang hinauf raste ein Motorrad auf die Gruppe zu und erfasste den SS-Mann. Dieser starb — über seine Erschießungspläne zu schweigen, rettete den KZ-Häftlingen das Leben.

Ein anderes Mal bewahrte den Griechen das nahende Kriegsende vor dem sicheren Tod: Als Schreiber in der Abteilung der Gestapo, in der politische Häftlinge verhört wurden, erlebte er viele Gräueltaten mit. Die Gestapo hatte beschlossen, die dort tätigen Häftlinge noch vor dem Ende des Krieges zu exekutieren. Wenige Tage vor der Befreiung verließen die SS-Leute jedoch Hals über Kopf das Lager, die vermeintlichen Geheimnisträger entkamen der Liquidierung.

Immer wieder musste der Grieche erleben, wie andere Häftlinge grausam gequält wurden. „Gerade, wenn sich Häftlinge solidarisch mit anderen zeigten und sich ihren Willen nicht brechen lassen wollten, entwickelten die Aufseher besonders perfide Foltermethoden“, sagt Angerer.

Wenige Tage vor der Befreiung bewies Kambanellis noch großen Mut: Er ging auf die Bitte seiner Mithäftlinge hin zu Lagerkommandant Franz Ziereis und ersuchte darum, dass auch die griechischen Häftlinge zu Ostern Pakete des Internationalen Roten Kreuzes erhalten sollten. Ziereis kam dem Wunsch nach, wohl wissend, dass die Amerikaner schon nahe waren …

Nach der Befreiung des Lagers durch die Amerikaner lernte Kambanellis dort die 19-jährige Litauerin Iannina kennen und lieben. „Die Liebesgeschichte der beiden zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch”, sagt Angerer. Das Paar fand seinen ganz eigenen Weg, ein wenig von der schrecklichen Zeit zu verarbeiten. Sie besuchten gemeinsam Orte, an denen sie Schlimmes erlebt hatten und holten sich auf diese Weise ein Stück Freiheit zurück. Ein SS-Wachturm diente ihnen als Liebesnest.

Um die Freiheit betrogen

Besonders schwierig war es für Kambanellis, miterleben zu müssen, wenn nach der Befreiung noch ehemalige Häftlinge verstarben. Krankheiten und Hunger rafften so manchen bis auf die Knochen Abgemagerten dahin. Angerer: „Der Tod hatte für die Befreiten nichts mehr im Lager zu suchen, sie fühlten sich dann um ihre Freiheit betrogen.“ Bitter erlebte er es auch, wie die Menschen in der Umgebung mit den ehemaligen KZ-Insassen umgingen.

Ihr Verhalten war geprägt von Ressentiments und Angst, ähnliche Gefühle hegten jedoch auch die Befreiten, die die Bevölkerung für Komplizen der SS hielten. „Auch deshalb sind diese Aufzeichnungen so wertvoll, weil es von der Zeit danach in Mauthausen kaum Berichte gibt“, so Angerer. Doch auch unter den ehemaligen Häftlingen regte sich nach dem anfänglichen Gemeinschaftsgefühl der Opfer des Faschismus Konflikte. Sie waren politischer Natur und entzweiten Kommunisten und Kommunisten-Gegner. „Da wurden schon die ideologischen Spaltungen des Kalten Krieges sichtbar.“

Als plötzlich Ianninas Ehemann Franco, ein Italiener, den sie während ihrer Zeit der Zwangsarbeit in München kennengelernt und geheiratet hatte, auftauchte, entschloss sich die junge Frau, mit ihm nach Piacenza zu gehen, wo sie auf Kambanellis warten wollte. Der Grieche gehörte zu den Allerletzten, die das ehemalige KZ Ende Juli 1945 verließen. Kambanellis war von seinen Landsleuten zum Delegierten für das internationale Lagerkomitee gemacht worden, das mit den Befreiern verhandelte, er wollte seinen Landsleuten bis zum Schluss beistehen.

Gemeinsam mit jüdischen Griechen, denen die Briten die Einreise nach Palästina verweigerten, flüchtete Kambanellis schließlich heimlich in Lastautos, deren Ladung als Kartoffeln deklariert war, über die Grenze nach Italien. Von dort aus wollten die Juden in Schiffen weiter. Kambanellis schlug sich zu Iannina durch, wo er eine große Enttäuschung erleben musste: Seine junge Liebe hatte sich so gut bei Franco eingelebt, dass sie bleiben wollte. Kambanellis musste seinen Weg nach Hause alleine fortsetzen.

„Mauthausen hat mich als Mensch geprägt, ich bin noch immer ein Mensch des Lagers“, schrieb Iakovos Kambanellis in seinem Buch. In Griechenland ist es mittlerweile in mehr als 30 Auflagen erschienen und ein Klassiker geworden. Der große griechische Komponist Mikis Theodorakis vertonte Werke von Kambanellis, darunter die Mauthausen-Kantate, die eigentlich am 5. Mai 2020 im Linzer Brucknerhaus aufgeführt werden sollte, aber leider den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie zum Opfer gefallen ist.

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