„Ich war der Zuhörer, der Diener, der Knecht“

Interview: Claus Peymann liest am Sonntag in Gmunden aus Thomas Bernhards Roman „Holzfällen“

„Da sah ich Bernhard, wie er ist: Ein Herr und ein zarter Liebhaber.“ Claus Peymann, 1937 in Bremen geboren, feierte als Regisseur mit Thomas Bernhard Theatertriumphe. Höhepunkt war die Uraufführung von „Heldenplatz“, 1988 am Wiener Burgtheater.
„Da sah ich Bernhard, wie er ist: Ein Herr und ein zarter Liebhaber.“ Claus Peymann, 1937 in Bremen geboren, feierte als Regisseur mit Thomas Bernhard Theatertriumphe. Höhepunkt war die Uraufführung von „Heldenplatz“, 1988 am Wiener Burgtheater. © Daniel Sadrowski

Claus Peymann hat noch in der Küche zu tun, zwei Minuten, gut. Dann passt’s. Der 84-Jährige witzig, hellwach, donnert los, lacht gerne. Ein Großer des deutschsprachigen Theaters, mit Thomas Bernhard feierte Peymann als Regisseur Triumphe. Am Sonntag, 19.30 Uhr, liest Peymann im Gmundner Stadttheater aus Bernhards Roman „Holzfällen. Eine Erregung“.

VOLKSBLATT: Herr Peymann, sind Sie im Ruhestand?

CLAUS PEYMANN: Überhaupt nicht. Ich war bis vor drei Jahren Intendant am Berliner Ensemble. Ich wollte aufhören, freiwillig, man hat mich nicht rausgeworfen. Vom absoluten König, erst in der Burg, später in Berlin, bin ich zum normalen Angestellten geworden. Das ist kein leichtes Brot.

Sie sind mit der Wiener Josefstadt verbunden, wo Sie zuletzt 2020 Thomas Bernhards Dramolette „Der deutsche Mittagstisch“ inszenierten. Eine dauerhafte Beziehung?

Vielleicht. Wer weiß? Aber was bedeutet „dauerhaft“ für einen 84-Jährigen? Ich verstehe mich gut mit Herbert Föttinger (Josefstadt-Direktor, Anm.), das Ensemble ist großartig. Ich plane Ionescos „Der König stirbt“ in den Kammerspielen der Josefstadt. Ein seltsames Theater, ein großes Haus unter der Erde. Und ich hoffe nur, der Titel bezieht sich nicht auf mein nahes Lebensende.

Sie mögen schwarzen Humor?

Und absurden Humor. Ionesco gilt als Begründer des absurden Theaters. Dem Zustand Mitteleuropas kann man heute nur mit absurdem und schwarzem Humor beikommen. Überall Korruption, ein moralischer Verfall, eine Morbidität. Deutsche Bundestagsabgeordnete, die sich an den Masken (zum Schutz vor Covid-19, Anm.) bereichert haben. Die AfD hat (bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, Anm.) 20 Prozent bekommen, eine eindeutige Neonazipartei. Nach diesem schrecklichen Krieg, nach dem Massenmord an den Juden. Da komme ich nicht mit dem Zeigefinger, da bleibt mir nur höhnisches Lachen. Wir haben die Seuche verdient.

Am Sonntag lesen Sie aus „Holzfällen“. Bernhard schreibt darin von einem „deutschen Theaterberserker“, einem „Theatergenie“. Gemeint waren Sie.

Wer denn sonst?

Bei der Lesung in Linz 2018 ließen Sie an dieser Stelle selbstironisch Konfetti über Ihr Haupt rieseln. Ehrlich, hat Sie dieser verschriftlichte Ritterschlag Bernhards auch gefreut?

Was in der Kirche das heilige Öl, ist im Theater das „heilige Konfetti“ der Clowns. Meine Eitelkeit ist zwar groß, aber ich selbst habe mich nie als Genie gesehen. Immer nur als Umsetzer, als Dirigent. Dazu mein Größenwahn, mein Überanspruch. Aber unter Regisseuren gibt es keine autonomen Genies.

Sie lernten Bernhard 1970 kennen, haben in Hamburg „Ein Fest für Boris“ uraufgeführt.

Ich habe von Bernhard „Frost“ gelesen, „Ein Fest für Boris“ war Liebe auf den ersten Blick. Keiner wollte das inszenieren. Ich bin mit dem Zug nach Ohlsdorf, aber Bernhard war nicht daheim. Ich habe einen Zettel an seine Tür geheftet. Gegenüber stand eine Bäuerin, die sagte, „Jo, der is imma weg“, und „I kaun Ihna sogn, des is oana …!“ (Peymann ahmt passabel hiesige Mundart nach.) Sie hat also nicht gut über Bernhard geredet.

Wie sind sie dann zusammengekommen?

Ich bin zum Gastwirt Asamer, habe dort ein Bett genommen, am Abend noch Wein getrunken. Die Leute in der Gaststube haben ausgesehen wie die Holzknechte in „Frost“: abgerissene Finger, abgerissene Beine. Ich lege mich schlafen, um 3 Uhr hat ein Mann mit Seppelhut die Tür aufgerissen und ist reingestürmt. Bernhard. Fragt „Wer sind Sie, was wollen Sie?“, beschwert sich, weil da einer einfach einen Zettel an seine Tür heftet.

Sie wollten dann noch gemeinsam etwas trinken gehen?

Ja, aber was hat um diese Zeit noch offen? Wir sind in der Kantine der Holzfabrik gelandet. Bernhard war ein kühner Autofahrer, wir hatten auch schon etwas gebechert, prompt hat uns die Gendarmerie gestellt. Bernhard hat die fertiggemacht. Als ob er König von Oberösterreich wär! Die Polizisten haben sich entschuldigt. Da sah ich ihn, wie er ist: Ein Herr und ein zarter Liebhaber.

Eine Freundschaft mit Bernhard?

Eine Arbeitsbeziehung mit Zügen von Freundschaft. Ich war immer der Zuhörer, der Diener, der Knecht.

Höhepunkt ihrer Arbeitsbeziehung war, nach Uraufführungen bei den Salzburger Festspielen, Bernhards Stück „Heldenplatz“ 1988 am Wiener Burgtheater.

Bernhard war eine Art Staatsfeind, wie Nestroy, der zu Lebzeiten an der Burg undenkbar war. Bernhard an der Burg – das war damals undenkbar, bis ich kam (1986, Anm.). Was für eine Zeit, Jörg Haider! Haider schlug mir einmal vor, wir sollten unsere Dispute öffentlich im Praterstadion austragen. Er rechnete mit 40.000 Zuschauern. Ich antwortete ihm: Ihren Dreck müssen Sie schon alleine machen, Herr Haider.

Bernhard weigerte sich erst, ein Stück zum „Bedenkjahr“ 1988 zu schreiben?

Die Sache war noch viel pikanter. Der Kanzler (Franz, Anm.) Vranitzky wünschte sich von Bernhard ein Stück zum „Bedenkjahr“. Bernhard sagte, er denkt überhaupt nicht dran. Er schlug stattdessen vor, per Gesetz zu verordnen, in die Auslagen aller Geschäfte, die 1938 Österreicher von Juden übernommen haben – und die noch heute in ihrem Besitz sind – einen Judenstern Ins Schaufenster zu stellen. Dann wäre die ganze Stadt gelb. Als Vranitzky davon hörte, sagte er: Sagen S´ Ihrem Freund Bernhard, der gehört ins Irrenhaus!

Vranitzky bestreitet das.

Ja, ich habe ihn neulich getroffen, da hat er das wieder verneint. Dabei sollte Vranitzky stolz sein, er hat ein Stück Theatergeschichte mitgeschrieben.

Bernhard hatte tatsächlich schon ein Stück in petto.

Ja. Wir fuhren mit dem Taxi, vom Hotel Imperial ins Burgtheater. Da zeigt er auf ein Haus, wo damals der Stadtschulrat wohnte: Da spielt mein neues Stück „Heldenplatz“! In diesem Haus wohnt in „Heldenplatz“ Professor Schuster, der jüdische Emigrant, der nach Wien zurückgekehrt ist. Von dort konnte man die Hunderttausend sehen und hören, wie sie auf dem Heldenplatz schrien und Hitler zujubelten. „Heldenplatz“ war ein großes Schuldeingeständnis: Die Österreicher waren die besten Nazischergen, die Behauptung, Österreich sei das erste Opfer des Nationalsozialismus gewesen, war eine große Lüge.

Ihr Bezug zu Gmunden?

Ich liebe das kleine Städtchen. Neben Wien war Gmunden meine Stadt in Österreich. Hier habe ich immer Bernhard getroffen, im Rathauscafé oder sonstwo. Im Rathauscafé hat er um 9 in der Früh sein Kipferl gegessen und Zeitung gelesen. Waren die Zeitungen schon weg, war auch der Dichter weg. Wir sind einmal vorm heutigen Stadttheater gestanden, da hat Bernhard gesagt, hier müssen wir ein Theater gründen. Das ist 40 Jahre her. Ich habe Österreich von Gmunden aus erobert.

Mit CLAUS PEYMANN sprach Christian Pichler

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