Im Versteck eines ganz besonderen Mädchens

Vor 75 Jahren starb die Jüdin Anne Frank im Alter von 15 Jahren im KZ Bergen-Belsen — eines von 1,5 Millionen im Holocaust ermordeter Kinder. Ihr weltberühmtes Tagebuch stellt bis heute einen der bedeutendsten Zeitzeugenberichte zum Nationalsozialismus dar. Mehr als zwei Jahre versteckte sich Anne mit ihrer Familie vor den Nazis. Ob und von wem die Untergetauchten im April 1944 verraten worden sind, ist bis heute ungeklärt. Ein Besuch im Anne Frank Haus in Amsterdam.

Anne Frank 1942 © Anne Frank House

Wenn man die engen, steilen Treppen des Hinterhauses hochsteigt, die Tapeten sieht, die auch Anne mehr als zwei Jahre ständig gesehen haben muss, während sie sich hier versteckte, die Postkarten und Fotos, die auf den Wänden verteilt sind, die Stelle, an der Annes Vater Otto das Wachstum seiner Töchter markierte, dann versinkt man ganz in Gedanken, fühlt sich hinein, wie es gewesen sein könnte.

Im Juli 1942 ist die Familie hier untergetaucht, Annes Schwester Margot drohte die Deportation. Bereits 1933 waren Otto und Edith Frank nach der Machtergreifung Hitlers mit ihren Kindern von Frankfurt nach Amsterdam emigriert. Ab 1940 – nachdem die deutsche Wehrmacht die Niederlande besetzt hatte — wurde es für jüdische Familien auch dort zusehends gefährlicher. Die Franks und kurze Zeit später auch eine weitere Familie, die van Pels, zogen ins Hinterhaus der Prinsengracht 263, im vorderen Gebäude hatte Otto Frank sein Handelsunternehmen.

Der schwenkbare Bücherschrank, durch den man die historischen Räume heute noch betritt, ist die geheime Tür zum Versteck. Acht Menschen lebten hier – kaum vorstellbar auf engstem Raum, knapp 80 Quadratmeter standen ihnen zur Verfügung, oft hielt sie die Angst vor Entdeckung in Atem. Die Fenster sind noch immer zugeklebt, niemand sollte die Versteckten bemerken, die dort ein Dasein im Dunkeln fristeten. Tagsüber mussten sie sich so still wie möglich verhalten, allein die Klospülung oder ein Knarren der Dielen hätte sie verraten können. Das Büropersonal, das im vorderen Gebäude arbeitete, kannte das Versteck und half den acht Menschen, indem sie sie mit Nahrung und Nachrichten der Außenwelt versorgten.

Annes Eltern und ihre Schwester Margot teilten sich ein winzigkleines Zimmer, Anne bewohnte ein weiteres mit Fritz Pfeffer, einem Mann im Alter ihres Vaters, ein Bekannter, der ein paar Monate später hinzugekommen war. Schwierige Umstände. Über dem Platz von Annes Bett kleben noch die Starfotos von Greta Garbo und Heinz Rühmann, die das Mädchen hier angebracht hat. Der kleine Waschraum verfügt nur über ein Waschbecken, es gab einen Plan, wer es wann nutzen durfte. Ein größerer Raum diente als Küche und Wohnraum, nachts wurde er zum Schlafzimmer für die van Pels. Der Dachboden, wo die Wäsche aufgehängt und Lebensmittel getrocknet wurden, wurde zum Rückzugsort für Anne. Dort oben unterhielt sie sich auch gern mit Peter, dem Sohn der van Pels, der gleich darunter die kleine Kammer bewohnte. Anne verliebte sich in ihn, ein erster Kuss wurde ausgetauscht.

Entdeckung könnte auch Zufall gewesen sein

In einer Vitrine liegt es da, das kleine rotkarierte Tagebuch, das Annes Lebensmittelpunkt, Mittelpunkt ihres Denkens wurde. Sie hatte es zu ihrem 13. Geburtstag geschenkt bekommen und schrieb Briefe an ihre „Liebe Kitty“, eine fiktive Freundin, hinein: über den Alltag im Versteck, Ängste und Spannungen, Hoffnungen und Pläne. Später entschloss sie sich, aus ihren Briefen einen Roman zu machen, überarbeitete das Geschriebene. Sie träumte davon, bekannt zu werden, ihre Aufzeichnungen einmal als Roman zu veröffentlichen.

Und auch wenn keine Möbel mehr dastehen, fühlt man sich in die Vergangenheit versetzt, als wären diese Menschen vor kurzem noch alle da gewesen. Tatsächlich stürmten am 4. August 1944 Polizeibeamte, darunter der SS-Oberscharführer Karl Silberbauer, ein Österreicher, das Haus in der Prinsengracht. Sie durchsuchten es mehr als eine Stunde lang und stießen dann im ersten Stock auf den Bücherschrank und die dahinter verborgenen Menschen. Alle acht wurden nach Auschwitz deportiert. Dort starben Annes Mutter und Hermann van Pels. Annes Schwester und sie selbst kamen ins KZ Bergen-Belsen, die übrigen Verhafteten in verschiedene KZs. Ob die Familien in ihrem Versteck verraten wurden, ist bis heute nicht geklärt, verschiedene Personen wurden verdächtigt. Anne Franks Vater, der einzige, der überlebt hat, hat nach dem Krieg vergeblich versucht, herauszufinden, was passiert ist.

Jüngere Forschungen des Anne Frank Hauses ergaben, dass es nicht, wie lange angenommen, Verrat gewesen sein muss, die Entdeckung der Untergetauchten hätte auch Zufall sein können: Dafür spreche, dass die Polizisten, die sie verhafteten, eigentlich für andere Aufgaben eingesetzt waren, sie hätten auch auf der Suche nach gefälschte Lebensmittelmarken sein können – mit Hilfe derer die Menschen im Versteck mit Nahrungsmitteln und sonst Notwendigem versorgt wurden. Auch der Schauplatz war nicht, wie sonst bei Verhaftungen von Juden üblich, abgeriegelt.

1947 wurde Annes Traum wahr, sie selbst durfte das nicht mehr erleben. Ihr Vater hat dafür gesorgt, dass ihr Tagebuch in Buchform erschien. Eine Schulfreundin hat Anne noch wenige Tage vor ihrem Tod im KZ Bergen-Belsen gesehen. „Sie war ein gebrochenes Mädchen“, wird diese später berichten. Annes Schwester Margot starb um ihren 19. Geburtstag herum, Anne selbst im Alter von 15 Jahren im Februar 1945 an Typhus und Entkräftung.

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