Immer mehr Weltraumschrott: Die Gefahr fliegt um die Erde

Mit Müll hat der Mensch nicht nur auf der Erde zu kämpfen – auch im Weltall wird er zunehmend zum Problem. Trümmer ausgedienter Satelliten und Reste alter Raketen machen Raumfahrt vor allem in Erdnähe immer gefährlicher.

Schon kleine scharfkantige Splitter können bedrohliche Löcher in Raumschiffe reißen oder Sonden zerstören. Ohne Gegensteuern, fürchten Experten, könnten Raumflüge angesichts Tausender Fragmente irgendwann kaum mehr möglich sein.

Erleichtert atmet die Besatzung der Internationalen Raumstation ISS im November auf. „Es gibt keine Anzeichen einer Kollision“, funkt Kosmonaut Pjotr Dubrow zur Erde. Die Crew hat sich eilig in zwei Raumschiffe in Sicherheit gebracht, damit sie schnell zur Erde zurückfliegen kann, sollten Trümmerteile den Außenposten der Menschheit treffen. Kurz zuvor hatte Russland einen ausgedienten Satelliten abgeschossen.

Moskaus Test einer sogenannten Anti-Satelliten-Waffe hat einmal mehr eine Diskussion über die Gefahr von Weltraumschrott ausgelöst. Die US-Streitkräfte sprachen zunächst von mehr als 1.500 nachverfolgbaren Trümmerteilen, die letztlich in Hunderttausende Teile zerfallen könnten. Allein im Jahr 2020 sei es zu mehr als 220 „gefährlichen Begegnungen“ der ISS mit Schrottteilen im All gekommen, hatten russische Spezialisten der Staatsagentur Tass zufolge gezählt.

„Natürlich hatten wir ein bisschen Sorge, dass wir nach drei Tagen schon nach Hause fliegen müssen“, sagt Maurer zu dem Zwischenfall. „Das wäre nach mehreren Jahren Vorbereitung auf diesen Flug natürlich nicht schön gewesen. Deswegen waren wir sehr erleichtert, als die Entwarnung kam und wir zurück in die ISS konnten.“ Alle paar Wochen werde die Crew vor Trümmerteilen gewarnt. „Das liegt daran, dass wir im Weltall immer noch das zurücklassen, was wir hochbringen und nicht aufräumen. Es ist deswegen sehr wichtig, dass die Raumfahrtunternehmen alles möglichst sicher entsorgen“, meint Maurer.

Wissenschafter schätzen anhand von Modellrechnungen, dass sich in der Erdumlaufbahn insgesamt etwa eine Million Teile befinden, die größer als ein Zentimeter sind. Würde etwa eine so große Schraube gegen einen Satelliten prallen, hätte sie nach Einschätzung von Experten die Zerstörungskraft einer Handgranate.

Russlands Raumfahrtbehörde Roskomos bereitet die wachsende Zahl von Schrottteilen Kopfzerbrechen. Bei einem Zusammenstoß könnte die ISS rund 400 Kilometer über der Erde beschädigt oder im schlimmsten Fall zerstört werden, teilt Roskosmos mit. Sollten größere Teile im Anflug sein, ändert die ISS ihre Flughöhe.

Experten stufen derzeit das Risiko für die Raumfahrt als „noch nicht so groß“ ein. In zehn Jahren könnte die Lage aber kritisch werden, wenn die Menschheit nicht gegensteuere, sagt der Chef des russischen Weltraumkontrollsystems, Witali Gorjutschkin, der Agentur Interfax.

„Die Erkennung und Katalogisierung von Weltraummüll ermöglicht es, das Auftreten von Gefahrensituationen vorherzusagen und davor zu warnen, diese Informationen weiterzugeben“, erklärt Roskosmos. Allerdings gebe es noch keine „internationale Praxis“ beim Austausch von Informationen über mögliche gefährliche Objekte.

Länder wie Russland, die USA, Kanada, China, Japan und Indien sowie die EU verfügen demnach über Möglichkeiten zur Überwachung des erdnahen Raums. Längst arbeiten Wissenschafter zudem daran, wie Weltraummüll eingesammelt – und vermieden – werden kann. Roskosmos-Chef Dmitri Rogosin hatte gefordert, Hersteller von Satelliten zu verpflichten, dass sie sich um deren Entsorgung kümmern müssen.

Ob es aber zu einer engeren internationalen Zusammenarbeit im All kommt, ist fraglich. Der Ukraine-Krieg hat Russland und den Westen entzweit. Skeptiker sehen auch den Fortbestand der ISS gefährdet.

Manuel Metz vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) beschäftigt sich seit Jahren mit Weltraummüll. „Zur Vermeidung von Schrott gibt es in vielen Ländern, darunter in Deutschland, nur eine freiwillige Selbstverpflichtung“, sagt der Astrophysiker von der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR. Ein privater Akteur könne Satelliten in den Erdorbit bringen, ohne Richtlinien zu beachten.

„Frankreich hingegen hat ein Raumfahrtgesetz – hier müssen Akteure viele Details angeben.“ Unter dem Begriff „Space Traffic Management“ werde das Thema derzeit international intensiv diskutiert.

Die größte Schrott-Dichte findet man Metz zufolge rund 800 Kilometer über der Erde. „Das sind Orbits, die von Erdbeobachtungssatelliten häufig benutzt werden.“ Bei einer Kollision entstehe hohe Energie. „Da kann ein zehn Zentimeter kleines Objekt einen ganzen Satelliten zertrümmern. Dadurch entstehen Tausende weitere Fragmente.“

Die Empfehlung sei, ausgediente Satelliten auf Umlaufbahnen von unterhalb 600 bis 650 Kilometer zurückzulassen, damit sie spätestens innerhalb von 25 Jahren in der Erdatmosphäre verglühen.

Zur Himmelsbeobachtung bedienen sich die Experten unter anderem der Radaranlage GESTRA in Koblenz. Sie wurde im Auftrag der Deutschen Raumfahrtagentur vom Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik entwickelt und sucht einen Teil des Himmels ab, um Objekte zu identifizieren und ihre Umlaufbahnen zu berechnen. „Es durchläuft letzte Tests, bis es voll betriebsbereit ist“, sagt Metz. „Dann werden wir erstmals in Deutschland fähig sein, unabhängig Bahndaten von Objekten im Erdorbit zu beobachten.“

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