Immer nur den ersten Schritt überlegt

Sie habe sich in ihrem Leben bei allem, was sie getan habe, immer nur den ersten Schritt überlegt, so Donna Leon in ihrem Buch „Ein Leben in Geschichten“, in dem sie sich anlässlich ihres 80. Geburtstages zurückerinnert. Und dabei so amüsant und humoristisch erzählt, dass sich einem die Frage aufdrängt, warum die weltberühmte Schriftstellerin sich fast ausschließlich dem Kriminalroman verschrieben hat.

Donna Leon besuchte für eine Lesung mit Musik im Mai im Schloss Bernau und war begeistert von der wunderschönen Umgebung. © Röbl

Das Einlassen auf neue Situationen und Möglichkeiten, ohne weit nach vorne zu denken, hat die am 28. September 1942 in Montclair im US-amerikanischen New Jersey geborene Donna Margret Leon in den Iran, nach China, Saudi-Arabien und schließlich nach Venedig geführt.

Dazu die positive Einstellung, das Glücklichsein, das sie und ihr Bruder von klein auf von ihrer Mutter mitbekommen hätten, schreibt Leon. All das führte zu der besonderen Vita einer blitzgescheiten, an allem interessierten Frau, die Abenteuerlust, Mut und Erfindungsgabe in sich vereint.

Sperrstunden-Partys im Iran, Spione in China

Aufgewachsen auf einer kleinen Farm berichtet Leon von einer unbeschwerten, „typisch amerikanischen“ Kindheit. Der Großvater mütterlicherseits Joseph A. Noll aus Nürnberg wanderte mit achtzehn nach New Jersey aus, ihr anderer Großvater, Alberto de Leon, aus Südamerika, beide Großmütter waren irischstämmig. In leichtem Ton erzählt Leon völlig ungeniert über ihre Familie, zu der auch so manche skurrile Figur gehört, und schont dabei — immer mit einem Augenzwinkern — niemanden.

„Meine Mutter war eine Verrückte“, schreibt sie und meint damit wohl deren „ungewöhnlichen Sinn für Humor und eine Vorliebe fürs Absurde“. Das führte u.a. dazu, dass Moo, eigentlich Mildred, anstelle ihrer Kinder an Halloween den Familienhund verkleidete — als Löwe oder Cheerleaderin — und mit den Kindern mitschickte, um Süßes oder Saures zu erfragen.

Nach dem Studium der englischen Literatur ging Donna Leon als Englischlehrerin in den Iran, wo sie ab 1976 angehende Hubschrauberpiloten unterrichtete. Als die Islamische Revolution ausbrach, spitzte sich die Situation zu, Ausgangssperren wurden verhängt. Leon lenkte sich mit Sperrstunden-Pyjama-Partys mit Freunden von der Situation ab, Angst habe sie nie gehabt, schreibt sie. Sie und ihre Kollegen müssen schließlich flüchten, alle Papiere, auch ihre fast fertige Dissertation über Jane Austen blieben zurück.

Die Begegnung mit Donna Leon wird VOLKSBLATT-Redakteurin Melanie Wagenhofer in Erinnerung bleiben. ©Röbl

Es folgte ein Arbeitsaufenthalt in China, wo ihr zwei Spione als Dolmetscher zur Seite gestellt wurden — bis heute könne sie deshalb „leiser als ein Mäuschen Holztreppen hinunterschleichen“. Ihre nächste Station ist Saudi-Arabien, wo sie sich wie in einem Gefängnis und gelangweilt fühlte, ehe sie 1981 in Venedig landet. Dort war sie zunächst für eine Außenstelle einer Uni auf einem US-Luftwaffenstützpunkt tätig. Die Idee zu ihrem ersten Buch kam ihr 1992 während eines Opernbesuches, dem Romandebüt „Venezianisches Finale“ folgt seither jedes Jahr ein neuer Fall und der bekannte Welterfolg.

Venedig wird zur heiß geliebten neuen Heimat, das ihr „wie bei Alice im Wunderland“ erschienen sei. In den Erinnerungen dürfen freilich ein Exkurs über italienischen Kaffee, die Mentalität der Italiener und die ihre Küche nicht fehlen.

Herrlich ist die Beschreibung von Dackel Artù von Freunden, wenn auf dem Canal Grande Touristenboote vorbeifuhren, von denen „O Sole Mio“ tönte: „Völlig außer sich, sei es, weil die Musik ihn peinigte, sei es, weil er irrtümlich glaubte, sein Rudel habe sich unten versammelt und verlange nach seiner Dackelsolidarität, heulte Artù zum Gotterbarmen, während die Touristen auf den randvollen Booten Fotos schossen und ihm begeistert zuwinkten.“

Nachdem ihr die Touristenmassen in Venedig zu viel geworden sind, die die Stadt und deren Einwohner, die Leon über alles liebt, bedrohen, entschloss sie sich dazu, in die Schweiz zu ziehen, wo sie bis heute in einem Bergdorf ein beschauliches Dasein führt. Dabei war sie selbst an der Situation in Venedig nicht unbeteiligt, schließlich suchen Brunetti-Fans bis heute auf den Spuren des Commissarios eifrig Schauplätze auf. Gerade vor der Questura, dem Polizeipräsidium, tummeln sie sich. Seit einiger Zeit bekommen sie dort nun einen von Donna Leon unterzeichneten Brief in die Hand gedrückt: Brunetti, Elettra und alle anderen seien auf einer Fortbildung und nicht in Venedig, steht darin…

©Diogenes Verlag

In der Schweiz geht es ruhiger zu. Dort hat Leon eine Leidenschaft, die einst ihre Mutter hegte, für sich entdeckt. In Gartendingen bis dahin völlig unerfahren, habe sie sich daran erinnert, dass ihre Mutter Flieder liebte, sich irgendwann zwei Pflänzchen gekauft und im Garten eingegraben, ohne damit zu rechnen, dass daraus etwas werden könnte. Die Freude, die sie verspürte, als sie grüne Blättchen auf den Trieben entdeckte, war groß, ihr Garten sei mittlerweile zum Fliederparadies mit unzähligen Sorten angewachsen. Berührend auch, wie sie die Freundschaft mit einem herumstreunenden Kater schildert.

Überbordende Fantasie und die Liebe zur Klassik

Ganz von Venedig lassen kann die Bestsellerautorin, die die Brunettis aus ihren Romanen als Familienmitglieder betrachtet, aber nicht. Einmal im Monat macht sie sich via Zug auf den Weg von der Schweiz nach Italien. Anhand der Fahrt durch den Gotthard-Tunnel erläutert sie eine der Eigenschaften, die wohl einen Teil ihres Erfolges ausmacht: ihre überbordende Fantasie. Denn während die anderen Fahrgäste unbedarft und sorglos plaudern, lesen oder die mitgebrachte Jause verzehren, spielen sich in ihrem Gedächtnis die schlimmsten Unfallszenarien, die nur vorstellbar sind.

Und da wäre dann noch die große, große Liebe zur klassischen, vorwiegend Alten Musik und da vorzugsweise Händel, die sich schon in Teenagerjahren (ohne jede Hinführung von außen) entwickelt habe und die sie heute mit ihren Schützlingen, dem italienischen Barockensemble Il Pomo d´ Oro sogar auf Tour gehen lässt. Erst im Mai diesen Jahres machte die Leon — das VOLKSBLATT durfte sie zum Gespräch treffen — mit „ihren“ Musikern im Schloss Bernau in Fischlham beim neuen Festival Ars Concordia Halt und hinterließ einen unvergesslichen Eindruck.

PS: Auch den „großzügigen Umgang mit der Wahrheit“ will Donna Leon, wie sie schreibt, von ihrer Mutter geerbt haben. Wer weiß also, was alles da gewesen und was vielleicht in der Fantasie entstanden ist. Da bleibt sie in ihrem Buch vage…

Von Melanie Wagenhofer

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