In den Eingeweiden von Facebook

Whistleblowerin Frances Haugen sprach über den Megakonzern, der mit Hass Geld verdient

Whistleblowerin Frances Haugen bei einer Anhörung im Senat in Washington im Dezember: Transparentere Technologieriesen?
Whistleblowerin Frances Haugen bei einer Anhörung im Senat in Washington im Dezember: Transparentere Technologieriesen? © AFP/Getty/Alex Wong

In dieser Zeitung oder zum Beispiel im Fernsehen darf niemand zu Vergewaltigung, Sklaverei oder Völkermord aufrufen. Das liegt nicht bloß am Grundanstand der Mitarbeiter, sondern auch an gesetzlichen Regelungen.

Bei elektronischen Medien wie Facebook ist dieses juristische Gebiet eine Grauzone. Facebook, mit knapp drei Milliarden Nutzern weltweit, behauptet gerne, mögliche Probleme in Eigenverantwortung zu lösen. Tut es das?

Frances Haugen sagt: „Die Algorithmen suchen immer nach einem ‚Rabbit Hole‘ („Kaninchenbau“, mehr im Sinne von „Falle“, Anm.), für das Sie besonders anfällig sind.“ So lande etwa ein Mädchen, das auf Facebook nach gesunder Ernährung sucht, schnell bei Anorexie (Magersucht). Denn gesunde Ernährung ist vergleichsweise langweilig, Anorexie hingegen „aufregend“ und polarisierend.

Schüren von Konflikten

Haugen arbeitete bei Facebook, das seit kurzem „Meta“ heißt, für die Sicherheit des Unternehmens. Anders als die Wachstumsteams war Haugens Team personell karg aufgestellt. Sechs oder sieben Mitarbeiter, um sich auch mit russischen oder chinesischen Geheimdiensten herumzuschlagen. Denn das Verlangen autokratischer Systeme ist groß, sich der Megaplattform Facebook zu bedienen. 2021 erhob Haugen schwerwiegende Vorwürfe gegenüber ihrem ehemaligen Arbeitgeber, im November wurde sie zum Thema auch im Europarat angehört.

Die Motivation, als Whistleblowerin an die Öffentlichkeit zu treten, war letztlich Haugens Sorge um den globalen Süden. Dort ist in vielen Ländern Facebook das Internet schlechthin. In Myanmar/Birma und Äthiopien sei Facebook für das Schüren von ethnischen Konflikten mitverantwortlich, Haugen spricht von Völkermord: „Und das war erst der Anfang der Gräuel, die wir von Facebook als Internet-Plattform für den globalen Süden erwarten können.“ Besonders schlimm sei, dass Facebook die technischen Mittel zur Abwehr von Hass und Gewaltaufrufen kenne. Aber der Konzern, der aktuell um die 40 Milliarden Dollar Gewinn pro Jahr macht, knausere bei den kleinsten Profiten.

Politiker haben in den vergangenen Jahren weltweit vermehrt ihre Politik nach den Regeln von Facebook ausgerichtet. Wie ein französischer Abgeordneter formulierte: „Der schnellste Weg zum Klick ist Wut.“ Für Aufmerksamkeit sorgt, was polarisiert. Facebook fördere – in Rückkoppelung – diesen Trend, sagt Haugen. Die Algorithmen reihen Hass-Themen vor, zudem: „Hasserfüllte Werbung ist günstiger als mitfühlende Werbung.“

Mark Zuckerberg, Leiter von Facebook Inc., schrieb zu den Vorwürfen: „Das Argument, dass wir absichtlich Inhalte fördern, um Menschen für Geld wütend zu machen, ist zutiefst unlogisch.“ Dem wäre zu entgegnen: Ist es nicht.

Kritik am „Metaverse“

Haugen kritisiert schließlich auch Zuckerbergs geplantes „Metaverse“: Headset aufsetzen und in einer idealisierten Version seiner selbst leben, die dem Realitätscheck nie standhalten kann. Haugen: „In fünf oder zehn Jahren werden wir eine psychische Gesundheitskrise haben. Facebook wird es abstreiten, bis es letztlich zu dieser Krise kommt.“

Die Zitate in diesem Artikel sind wesentlich einem Interview entnommen, das Frances Haugen mit dem deutschen Moderator Jan Böhmermann führte: youtube.com/watch?v=ws06adOKNUk, auf Englisch mit deutschen Untertiteln.

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