In den Schlaf „flüstern“

In den USA werden sogenannte ASMR-Videos oft schon millionenfach angeklickt. Auch hierzulande erfreut sich das Phänomen der „Flüstervideos“ steigender Beliebtheit. Mit unterschiedlichsten Mitteln sprechen die Macher der Videos vor allem auditive, aber auch visuelle Reize an und sorgen so für ein entspannendes, angenehmes Gefühl, das viele als „Gehirnkribbeln“ beschreiben.

Bei den meisten Menschen erzeugen bestimmte Geräusche angenehme oder unangenehme Gefühle. Während das Kratzen von Fingernägeln an einer Schiefertafel für eine Gänsehaut im negativen Sinn sorgt, bewirken andere Geräusche hingegen, wenn sie richtig eingesetzt werden, ein sehr wohltuendes Gefühl.

Manche sprechen sogar von einer Art „Gehirnorgasmus“. Das kann zum Beispiel das Geräusch von Regen, der auf ein Zelt prasselt, sein. Eine Bürste, die durch das Haar streicht. Fingernägel, die sanft auf verschiedene Oberflächen klopfen.

Oder Pinselstriche, die über eine Leinwand fahren. Auch eine flüsternde, kaum zu verstehende Stimme führt viele in einen Zustand der Entspannung.

ASMR regt die Sinneswahrnehmung an

Vor allem junge YouTuber machen sich dieses Phänomen zunutze und erobern mit sogenannten ASMR- oder „Flüster“-Videos schon seit einigen Jahren das Internet. ASMR ist die Abkürzung für „Autonomous Sensory Meridian Response“ und steht für auditive und auch visuelle Reize, die ein angenehmes „Gehirnkribbeln“ („Tingle“) auslösen. Unterschiedliche Geräusche folgen dabei aufeinander, oft begleitet von einer Flüsterstimme.

Was hinter dem Trend steckt, erklärt Doris Jobst, Klinische Psychologin im Klinikum Schärding: „Viele Menschen empfinden Geräusche wie Flüstern, Klopfen, Rascheln oder auch Essen als sehr angenehm und entspannend. Das Gehirn wird durch ASMR- Videos in ähnlicher Weise aktiviert wie durch das Anschauen von Personen, die einem wichtig sind, während diese auf sanfte Weise mit ihren Haaren spielen“, sagt sie und fügt hinzu: „Die Gehirnareale, die mit Belohnung und emotionaler Erregung zusammenhängen, zeigen mehr Aktivität. Daher geht die Forschung davon aus, dass das Glückshormon Oxytocin wesentlich am Entstehen des ,Gehirnkribbelns‘ beteiligt ist. Viele beschreiben den Effekt von ASMR als eine Art Kribbeln, das im Hinterkopf beginnt, sich über Nacken und Wirbelsäule ausbreitet und so den ganzen Körper entspannt.“

Besonders häufig werden die „Flüstervideos“ als Einschlafhilfe nachts im Bett gehört. Dabei verstärken Kopfhörer den Effekt zusätzlich, weil andere Geräusche ausgeblendet werden. Aber auch zum gezielten Stressabbau untertags eignen sich die ASMR-Videos sehr gut.

„Als Begleittherapie können die Clips Potenzial auch bei einer Angstbehandlung haben. Wenn YouTuber jedoch behaupten, sie könnten Depressionen, Ängste oder Schlafstörungen mit ihrem Video behandeln, ist dies fahrlässig“, informiert die Psychologin.

Nicht alle Menschen reagieren auf ASMR-Videos. Die Klinische Psychologin weist darauf hin, dass der Effekt ähnlich ist wie bei anderen Entspannungsverfahren. „Was Menschen entspannt, hängt letztendlich auch von individuellen Faktoren ab. Bei manchen sind es ASMR-Videos, bei anderen eher meditative Klänge, Fantasiereisen, Progressive Muskelentspannung, Autogenes Training oder Yoga“, sagt Jobst.

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