Jack Unterwegers sparsamer Umgang mit der Wahrheit

Malkovich und Sturminger inszenieren Geschichte des „Häfenpoeten“

Schlüpft in die Rolle desSerienkillers: John Malkovich
Schlüpft in die Rolle des Serienkillers: John Malkovich © Reinhard Winkler

Jack Unterweger, wegen Mord an einer Prostituierten verurteilt, in der 15-jährigen Haft zum angesagten Schriftsteller gehypt, nach der Entlassung weiterer Morde verdächtigt. Erhängt sich nach einem nicht rechtskräftigen Urteil in seiner Zelle.

Kein Geringerer als Schauspieler John Malkovich („Being John Malkovich“) verarbeitete die Texte des „Häfenpoeten“ mit Regisseur Michael Sturminger zu „Infernal Comedy. Confessions of a Serial Killer“. Als dramaturgische Konstruktion lädt Unterwegers Verleger zu einer post mortem-Lesung von Unterwegers Autobiografie. Das Musiktheaterprojekt für Orchester, zwei Sopranstimmen und einem Weltklasse-Schauspieler füllte am Donnerstag den Großen Saal im Linzer Brucknerhaus.

Abend der Sopranistinnen

Es ist ein Abend der Sopranistinnen. Der lyrische Sopran von Susanne Langbein und die volle runde Stimme von Chen Reiss faszinieren mit Leichtigkeit, Leidenschaft und Strahlkraft. An zweiter Stelle die verbalen Abgründe in Liedtexten und Schauspiel. Männer erdachten die hochdramatischen Arien, Unsterbliche wie Mozart, Beethoven, Haydn oder Vivaldi. Sie besingen Frauen, die aus Liebesleid den Tod ersehnen, während sie um die Liebe des Angebeteten flehen. Vor dem Hintergrund der Unterweger-Story unerträgliche Texte, mit meterhohen Übertiteln. Gelassener Kommentar: „Sie haben mir erlaubt, sie zu töten“.

Schöngesang & Abgründe

Malkovich betritt die Bühne, weißer Anzug, dunkle Brille, stellt sich vor mit den gängigen Banalitäten. „Linz ist schön, ich möchte mein neues Buch vorstellen.“ Unbemerkt ist er längst Jack Unterweger. Als locker süffisanter Autor und Serienmörder räsoniert Malkovich über die Wahrheit, mit der er „äußerst sparsam umgeht“.

„Ich möchte mich mit dir vereinen, solange bis der Schmerz mich tötet“ (Mozart), intoniert die bildschöne Sängerin. Vergessen ist das arrogante Scheusal. Malkovich greift aber wieder ein, auch seine Frauen gierten nach ihm, dem Mörder, finanzierten ihm Leben und jeden Luxus. Das Wroclaw Baroque Orchestra mit Dirigent Martin Haselböck gleitet mit den letzten Worten in eine andere Welt, die man unabhängig von der Geschichte wissen möchte.

Doch der Sprecher blickt auf die Sängerin, geht langsam auf sie zu. Malkovich gilt als einer der profiliertesten Darsteller komplexer, problematischer, abgründiger, oft auch hochintelligenter, aber ebenso herablassender Charaktere. Nur wenige Momente entstehen solche Spannungsfelder, zeigt sich das grenzenlos von sich eingenommene Ungeheuer, das logisch, zynisch, zugleich gelangweilt sich im Recht fühlt, in einem Rechtssystem, das er süffisant in Frage stellt, wie jegliche Wahrheit insgesamt, er steht über den Dingen. Hybrider Höhenflug mit Rückkehr auf den Bühnenboden: „Ich will ja nur mein Buch verkaufen“.

Das Selbstmord-Szenario öffnet den Blick auf Unterweger als letztlich lächerliche Figur. „Seit ich gestorben bin frage ich mich …“ Finale Gedankenspiele über die Wahrheit, oder auch Suche nach einer simplen Erklärung: „Ich will jemand sein, lieber Mörder als niemand.“

90 Minuten prallen Welten aufeinander, die des klassischen Schöngesangs und jene eines mörderischen Psychopathen. Sie berühren sich nur wenig. Die klassische Musik steht im Vordergrund, man kann sich den Liedern und der Perfektion der Sopranistinnen hingeben. Unterweger stört, mit seiner arroganten Penetranz. Eine Ungeheuerlichkeit! Genau das wollte er.

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