Altes Märchen neu erzählt

Musiktheater Linz: Jubelschreie für Ballettpremiere von Tschaikowskys „Dornröschen“

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So ganz angemessen war der Jubel nicht für die neue Version des Ballettklassikers „Dornröschen“, die der experimentierfreudige Choreograf Andrey Kaydanovskiy „Tanzstück“ nennt und die am Freitag am Musiktheater Linz Premiere feierte. Versetzt in die Gegenwart weicht Kaydanovskiy vom Original mit dem Resultat ab, dass man für das Märchen einen anderen Titel finden müsste.

Sie zentralen Motive des Buches, dessen Ursprung in das 14. Jahrhundert zurückgeht, lauten: der todesähnliche Schlaf einer schönen Prinzessin, ihre autoritäre Erziehung und Versperrung im Palast, Entehrung durch einen jungen Ritter, Schwangerschaft und Geburt eines Kindes im Schlaf, aus dem erwacht, der Täter zum Happy End als der auserwählte Prinzgemahl hervorgeht.

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Von der Geburt eines Kindes geht Kaydanovskiy aus und zeigt im ersten Teil seines auf zwei Akte reduzierten Bühnenbildes (Karoline Hogl) in rosa Farben und zauberhaften Kostümen (Melanie Jane Frost) die Atmosphäre einer adeligen Familie. Leider fällt das Geschehen nach der Pause auch in scharfe Kontraste ab und zeigt die Prinzessin nach 16 Jahren bei ihrer Entwicklung mit allen Erschwernissen als eine feministische, starke Frau im Kampf um ihre Freiheit und Identität.

Da spart der Regisseur mit seinen nach Aktualität gierenden Einfällen nicht und verführt Aurora in eine Umgebung, die mit den tierischen Tanzbegleitern nicht gerade tröstlich umgeht. Allzu gut kennt der Choreograf das Werk und will es neu erschaffen.

Es dürfte von ihm eine Fassung erwartet werden, die den Eindruck von Selbstüberzeugung und Unbeirrbarkeit hinterlässt. Die Quintessenz von „Dornröschen“ wäre die Gegenüberstellung des Guten und Bösen, der Feenwelt und die Verkörperung des Bösen, wenn die Fliederfee Carabosse den Fluch des ewigen Schlafes ausspricht, nachdem sich die Prinzessin an der Spindel verletzt hat.

Der Schlaf war diesmal kaum wahrnehmbar, daher brauchte es kein Aufwecken. Aber es ist keine Frage, ob nicht gerade dieses Werk noch mehr Freiheiten offen lässt, um seine wegweisende Stellung zu behaupten, oder überhaupt als der Gipfel der Errungenschaften des klassischen Tanzes im 19. Jahrhundert zu gelten.

Tänzerisch gab es wie immer durchwegs Hochleistungen im Musiktheater. Dafür gebührt ein Pauschallob dem Tanz-Ensemble Als Solisten Elisa Ladolini, Mischa Hall, Angelica Mattiazzi, Ilia Dergousoff, Yu-Teng Huang und Samuel Arthur Sicilia. Alle erwiesen sich hellhörig auf die fordernden Regieanweisungen und musizierten gleichsam mit dem Körper.

Klangsprache wertete Sprung in die Moderne auf

Die geniale Musik von Tschaikowsky musste sich mit der Mischung eines Sound Designs von Angel Vassilev, bekannt aus der Filmmusik, abfinden. Das präzise Bruckner Orchester ließ sich dadurch nicht irritieren und zeigte — nicht nur an den Solostellen (etwa Violine, Klarinette, Harfe) — seine gewohnten Qualitäten.

Es befand sich ja in für die tschechische Musik sicheren Händen von Marc Reibel, dessen musikalische und gestische Überlegenheit bei der anspruchsvollen Besetzung von seiner Qualität Zeugnis ablegte. Es war primär die Klangsprache der Musik, die den szenischen Sprung in Richtung Moderne aufwertete. Fazit im positiven Sinne: Eine schöne Bescherung am Vorabend von Weihnachten.

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