„Auch in der Kultur sollte es Start-ups geben“

Die neue Vorsitzende des Landeskulturbeirates, Christine Haiden, und ihre Vorstellungen

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Bildtext © Alexandra Grill

Sie war viele Jahre Chefredakteurin des Magazins „Welt der Frau“, hat jede Menge Bücher geschrieben, ist Präsidentin des OÖ. Presseclub und Obfrau der OÖ. Stiftskonzerte. Jetzt hat die Umtriebige ein neues Betätigungsfeld: Christine Haiden (61) ist die neue Vorsitzende des Landeskulturbeirates.

VOLKSBLATT: Wie ist es zu diesem Engagement gekommen?

CHRISTINE HAIDEN: Ich wurde gefragt, ob ich mir vorstellen kann, zu kandidieren und habe ja gesagt. Durch die Stiftskonzerte habe ich den Kulturbereich auch vom konkreten Arbeiten her kennengelernt, und ich freue mich, dass ich meine Energie und auch meine Kreativität wieder in ein neues Feld einbringen kann. Mich reizen solche Aufgaben, die beflügeln meine Fantasie.

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Was sehen Sie als Vorsitzende des 9. Kulturbeirates als zentrale Aufgabe an?

Das Gremium mit 54 Personen in sechs Fachbeiräten deckt ja die ganze Breite des Kulturlandes OÖ ab. Ich sehe es als meine Aufgabe, dass wir unserem Recht nachkommen, Vorschläge an die Landesregierung in Sachen Kulturentwicklung zu machen, die für die Kultur und die Kulturschaffenden eine Weiterentwicklung bedeuten. Ich peile an, dass wir nächstes Jahr im Frühsommer ein erstes Vorschlagspaket präsentieren können.

Wo sehen Sie sich selbst als Kulturmensch?

Ich bin sehr breit und vielfältig interessiert. Meine Schwerpunkte sind Musik und Literatur, Erwachsenenbildung interessiert mich sehr, auch die Bildende Kunst. Wobei ich den Kulturbegriff gerade im Landeskulturbeirat auch sehr breit anlege. Kultur ist nicht die Freizeitbeschäftigung, der man nachgeht, wenn man den Rest gemacht hat, ich sehe Kultur als Humus in der Gesellschaft an, den Boden, aus dem auch das andere erwächst. Es geht ja auch immer darum, wie man wirtschaftet, Politik macht, wie sich ein Land, ein Ort, eine Gemeinschaft entwickeln. Da ist Kultur eigentlich überall drin und auch wichtig.

32 Personen wurden neu in den Landeskulturbeirat berufen, 22 machen weiter — eine notwendige Auffrischung in so einem Gremium?

Ich finde es eine gute Kombination, dass ein Teil mit Erfahrung bleibt und ein Teil neu dazu kommt. Da sind einige, die relativ jung sind: Ich denke da zum Beispiel an Stefan Meßner, der den Bereich Kinokultur vertreten wird, oder Luiza Stankiewicz, die den Bereich Kinderuni, Digitalisierung wahrnehmen wird, oder Shakeh Lennert im Bereich Literatur, der Dombaumeister Michael Hager, der auch sehr stark in der Ortsentwicklung, Revitalisierung tätig ist, Mathias Kaineder, der Kultur auch als Ortsentwicklung sieht. Oder Simone Barlian, die sehr stark kuratorisch im Einsatz ist im Bereich der Bildenden Kunst, jetzt auch in Bad Ischl, sie hat sich stark mit Leerstandsfragen beschäftigt. Da verknüpfen sich immer wieder auch aktuelle Entwicklungen wie Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Ortsentwicklung im Landeskulturbeirat.

Die Förderung der Vielfalt steht im Kulturleitbild — wo sehen Sie noch Bereiche, die stiefmütterlich behandelt werden?

Mir kommt vor, dass man das Ehrenamt im Bereich Kultur genauer anschauen muss. In Blaulichtorganisationen wird das jetzt schon stark besprochen und hat etwa bei Personaleinstellungen am Land Relevanz. Auch der Bereich der Literatur könnte vielleicht noch ein bissl stärker werden und die Frage, wie kann Kultur bei der Entwicklung von Orten, von Regionen integrativ gedacht werden. Wie kann das von vornherein ein Teil sein, so wie man Verkehrswege plant oder einen Kindergarten. Die Leute bleiben auch in Regionen, wenn es dort Musikvereine gibt, Theater, Chöre. Das als Standortfaktor stärker mitzudenken, halte ich schon für wichtig. Das hat nichts mit touristischer Vermarktung zu tun. Gerade in OÖ gibt es auch in der Wirtschaft und Industrie dezentrale Standorte, die man durch Kultur attraktiver für Arbeitskräfte machen kann.

Gerade in den Vereinen hat man Sorgen bezüglich Nachwuchs. Wie kann man junge Menschen heute wieder für Kunst und Kultur begeistern?

Ich glaube, dass junge Leute gerade im Kulturbereich eh gerne etwas machen. Viele fangen halt dann vielleicht nicht bei traditionellen Vereinen an, sondern wollen etwas Neues machen, eine neue Kulturinitiative, und da sollten es ihnen die Gemeinden einfach machen, indem man ihnen eine Startförderung gibt, Räume überlässt. Ähnlich wie bei Start-ups im Wirtschaftsbereich sollte es auch eine Start-up-Kultur im Kulturbereich geben. Es gilt, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit etwas ernsthaft ausprobiert werden kann. Vereine und Organisationen wie Chöre werden oft zu Freundeskreisen, da ist es fast immer schwierig, dass jemand Neuer dazukommt. Und ich glaube, es gibt einen großen Wunsch nach Präsenzkultur. Vielleicht muss man sich auch davon lösen, dass alle Vereine über Jahrhunderte bestehen.

Wie wichtig sind Ihnen Frauenthemen in Kunst und Kultur?

Bei mir ist das ein inklusives Thema, das man mitdenkt als eine Facette, die dazugehört. Im Kulturbeirat herrscht Parität zwischen Frauen und Männern, auch bei der Leitung der Fachbeiräte, und jetzt stehen mit Simone Lindinger und mir zwei Frauen an der Spitze. Wir werden da nicht programmatisch im Sinne von, das müssen wir jetzt erkämpfen, sondern das ganz selbstverständlich in die Arbeit mitnehmen und gar nicht lange diskutieren, sondern es so machen.

Digitalisierung ist heute ein großes Thema. Sind Fake News etc. das auch im Landeskulturbeirat?

Durchaus, wir haben ja einen Fachbeirat Erwachsenenbildung/Wissenschaft. Wie wir mit dem Faktor Digitalisierung und dem Werkzeug, das daraus entsteht, umgehen und was das für unsere Kultur des Zusammenlebens und Vertrauens bedeutet, damit werden wir uns sicher beschäftigen.

Sorgen bereiten auch die Teuerung und die Entwicklung der Besucherzahlen nach Corona. Wie kann man da gegensteuern?

Wir machen bei den Stiftskonzerten die Erfahrung, dass die Nachfrage in den höheren Preiskategorien kein Problem darstellt, eher bei den billigeren Kategorien. Offenbar gibt es viele, die sich das jetzt weniger leisten können. Das könnte durchaus ein politisches Thema sein: Nachdem ja fast alle Kulturvereine mit Steuermitteln gefördert werden, gilt es, den Zugang offenzuhalten für jene, die weniger Geld zur Verfügung haben.

Die oö. Kulturschaffenden haben einer Befragung zufolge an Selbstbewusstsein gegenüber der Kulturmacht Wien gewonnen.

Selbstbewusstsein ist total wichtig. Die Frage ist, wodurch es entsteht. Im Kunstbereich gibt es viele Faktoren, die bewirken, ob jemand wahrgenommen wird oder nicht und auf welcher Ebene. Da kann man natürlich schauen, braucht es mehr Resonanzräume, wo sich Künstler präsentieren können oder braucht es andere Faktoren, um dieses Selbstbewusstsein auch im Sinne einer Weiterentwicklung zu stärken. Ich könnte mir vorstellen, dass wir einmal so eine Art Brown Field Festival in OÖ veranstalten, ein Fachbegriff in der Immobilienentwicklung, bei dem es darum geht, bestehende, verbaute und versiegelte Flächen neu zu nützen, zu revitalisieren. Mittels künstlerischer Interventionen kann man auf Leerstände und deren Nutzung hinweisen, sie sichtbar machen und auch die Fantasie anregen.

Welchen Stellenwert hat Gedenkkultur für Sie?

Ein wichtiges Thema, das in den letzten Jahren in OÖ intensiver geworden ist und immer noch schnell ein Kampfthema wird. Die Zeit des Nationalsozialismus war ein derartiger auch Kulturbruch, dass man sich das immer wieder anschauen und vergegenwärtigen muss. Gerade in Kulturdebatten finde ich es ganz wichtig, dass es Gedenkkultur gibt.

Mit CHRISTINE HAIDEN sprach Melanie Wagenhofer

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