Autor von Weltrang: Christoph Ransmayr feiert 70. Geburtstag

Christoph Ransmayr feiert heute seinen 70er © APA/WOLFGANG HUBER-LANG

„Als ich noch unsterblich war“ heißt das neue Buch von Christoph Ransmayr, ein Band mit 13 Erzählungen. Kein schlechter Titel, vor allem auch im Hinblick auf ein Ereignis, das der in Wels geborene Autor am heutigen Mittwoch begeht: Der vielfach ausgezeichnete Dichter, dessen Bücher in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurden, feiert seinen 70. Geburtstag.

„Die Tatsache, daß die Zeit vergeht und mit ihr auch die Möglichkeiten eines menschlichen Lebens verrinnen, ist ja nicht gerade ein Grund zum Feiern. Trinken läßt sich dagegen dankbar auf das Glück, wenn in der verflogenen Zeit auch etwas Sinnvolles entstehen konnte und die Zahl der Liebsten und Freunde nicht kleiner geworden“, lässt Ransmayr (in alter Schreibweise, Anm.) per Mail wissen. „Hier mußte ich aber im vergangenen Herbst den Verlust meines Bruders Wolfgang beklagen, der aus einer Südwand des Höllengebirges in den Tod gestürzt ist. Er begleitet mich seither in jenem Herzensraum, in dem die Lebenden und die Toten gemeinsam geborgen sind.“

Am Abend des Todestags habe ihn die Nachricht erreicht, dass ihm der mit 70.000 Euro dotierte südkoreanische Park-Kyung-ni Preis zuerkannt wurde, berichtete Ransmayr am 2. November in Seoul in seiner Dankesrede: „Was für eine tröstliche, ja träumerische Vorstellung, wenn zumindest für einen einzigen Tag Abgründe wie der in der Wildnis des Höllengebirges oder die vom Gelben bis zum Japanischen Meer verlaufende Kluft zwischen beiden Koreas, in der mehr als vier Millionen Bürgerkriegstote begraben liegen, ins Reich der Sprache, in eine Erzählung oder einen Roman verwiesen werden könnten.“

Angesichts der weiteren Namen auf der Shortlist – nämlich Cormac McCarthy, Margaret Atwood und António Lobo Antunes – habe er zunächst an ein Missverständnis gedacht, erzählt Ransmayr, der sich über die geringe Resonanz des Preises hierzulande wundert. Über geringe Auszeichnungsdichte kann er sich dagegen nicht beschweren. 29 an ihn verliehene Literaturpreise listet der S. Fischer Verlag auf, vom Anton-Wildgans Preis der österreichischen Industrie (1989), über den Franz-Kafka-Preis (1995) und den Friedrich Hölderlin Preis (1998), den Donauland Sachbuchpreis (2014) und den Prix du Meilleur livre étranger (2015) bis zum Kleist-Preis (2018) und eben den Park-Kyung-ni-Literaturpreis (2023). Und von den Wettbüros wird er auch regelmäßig als Nobelpreiskandidat gehandelt. „Das Bedrohliche an solchen Auszeichnungen ist, dass man plötzlich so viele Feinde hat. Da rückt sofort eine Armee von Giftsoldaten an und schießt sich auf dich ein. Nein, daran habe ich kein Interesse“, wehrte einmal im APA-Interview ab.

Christoph Ransmayr wurde am 20. März 1954 in Wels (Oberösterreich) geboren und verbrachte seine Kindheit in Roitham bei Gmunden. Nach der Matura am Stiftsgymnasium Lambach studierte er 1972-78 Philosophie und Ethnologie an der Universität Wien. Danach begann er seine journalistische Tätigkeit als Kulturredakteur der Monatszeitschrift „Extrablatt“ (1978-82) und arbeitete als freier Mitarbeiter verschiedener Zeitschriften. In „Transatlantik“, „Merian“, „Geo“ u.a. Magazinen erschienen Reportagen und Essays.

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Seit 1982 ist Ransmayr freiberuflicher Schriftsteller. Im gleichen Jahr veröffentlichte er den in rhythmischer Prosa verfassten Band „Strahlender Untergang“. „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“, ein 1984 veröffentlichter Roman über die österreichisch-ungarische Nordpolexpedition unter Weyprecht und Payer, erhielt glänzende Kritiken, blieb jedoch zunächst ein Geheimtipp, ehe ihm 1988 mit dem Ovid-Roman „Die letzte Welt“ der Durchbruch gelang. Auf der Suche nach dem in der Verbannung am Schwarzen Meer verschwundenen Dichter Ovid verweben sich dabei dichterische und (alb-)traumhafte Metamorphosen.

Nach ausgedehnten Reisen vor allem in den Himalaja, nach Fernost und Lateinamerika, und seiner Übersiedlung nach West Cork in Irland folgte erst 1995 der Endzeitroman „Morbus Kitahara“, der Aufsehen erregende düstere Gegenentwurf eines Nachkriegseuropas. „Der Weg nach Surabaya“ versammelte 1997 „Reportagen und kleine Prosa“. 1997 hielt der Autor die Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele, wo er im Jahr 2000 als „Dichter zu Gast“ war.

2001 wurde bei den Salzburger Festspielen sein Schauspiel „Die Unsichtbare. Tirade an drei Stränden“ von Claus Peymann uraufgeführt – und brachte ihm den Nestroy-Autorenpreis ein. Sein zweites Stück „Odysseus, Verbrecher. Schauspiel einer Heimkehr“ wurde durch Michael Gruner als Auftragswerk der Ruhrtriennale im „Kulturhauptstadt-Jahr“ 2010 in Dortmund uraufgeführt.

2006 erschien der Roman „Der fliegende Berg“, die in rhythmischer Prosa verfasste Geschichte zweier irischer Brüder, die in Osttibet einen noch namenlosen Berg suchen, Expeditionsroman und Männerabenteuer, Bruderdrama und Liebesgeschichte in einem. 2012 folgte der „Atlas eines ängstlichen Mannes“ mit 70 Episoden von „merkwürdigen und komischen, manchmal beglückenden, oft erschreckenden und bestürzenden, stets aber auch vom Wundersamen durchdrungenen Begegnungen“ mit Menschen, Tieren und Landschaften (so die Grimm-Preis-Jury). Kein Wunder, dass Ransmayr als großer Reisender gilt, und auch die Erzählungen im neuen Band führen „von Irland in den Transhimalaya, aus dem oberösterreichischen Bergland zu den Bürgerkriegsschauplätzen Sri Lankas oder in die Sahara, in den Frieden afrikanischer Nebelwälder und ins Südchinesische Meer“ (Verlag).

„Abgesehen von längeren Schreibklausuren in der andalusischen Sierra Nevada und im peloponnesischen Taygetos-Gebirge, zwei Besuchen bei alten Freunden in Brasilien und Indien sind demnächst keine großen Reisen geplant, das vor allem, weil im Spätherbst dieses Jahres ein Buch mit dem Titel ‚Egal wohin, Baby – Mikroromane‘ erscheinen soll und die Arbeit daran noch nicht abgeschlossen ist“, lässt Ransmayr nun wissen. „Mit diesen Mikroromanen durchwandere ich ein weiteres Feld meiner Spielformen des Erzählens, schließlich läßt sich von den endlichen Tatsachen der Wirklichkeit und den unendlichen Gestalten der Phantasie nicht nur in Roman-Trilogien (das natürlich auch) erzählen, sondern ebenso in wenigen Sätzen oder Seiten.“ Für „Romane von tausend Seiten“ fehle ihm mittlerweile sowohl als Leser als auch als Erzähler die Zeit. „Lektüreausnahmen gibt es selbstverständlich auch im Schwartenbereich.“

Schwarten hat Ransmayr nie geschrieben. Neben seinen Romanen „Cox oder Der Lauf der Zeit“ (2016) und „Der Fallmeister. Eine kurze Geschichte vom Töten“ (2021) widmete er sich in den vergangenen Jahren vor allem den schmalen Bänden seiner Reihe „Spielformen des Erzählens“. „Der größte Erzähler ist das Licht“ heißt ein neues Porträt von Martin Traxl und Tatjana Berlakovich, das am Montag im ORF erstmals ausgestrahlt wurde und per Stream weiter abrufbar ist. Ransmayr öffnet dabei auch seine private Sternwarte, meint aber gleichzeitig, am liebsten schaue er mit freiem Auge in den Sternenhimmel. Die Kamera begleitet ihn auch über Almwiesen mit spektakulären Ausblicken. Seit der Heirat mit seiner Frau Judith 2006 lebt Ransmayr wieder in Wien und im Salzkammergut.

„Im Salzkammergut bin ich entweder im Höllengebirge oder im Toten Gebirge oder arbeite in Judiths und meinem Haus hoch über dem Traunsee und sehe von Ufer und Tal nur einige Lichter“, so der Autor zur APA. „An allen diesen Aufenthaltsorten erreichen mich die Sensationen in der Tiefe nur als ferne Klänge, Motorgeräusche und Schattenspiele.“ Der Umstand, dass das Salzkammergut heuer als Kulturhauptstadt Europas gefeiert wird, kann Ransmayr nicht euphorisieren: „Einladungen zum Besuch der Kulturhauptstadt habe ich bei allem Respekt dankend abgelehnt. Das Salzkammergut – und seine Schatten – werden in meinen Erzählungen und Romanen ausreichend gewürdigt.“

Zum Abschluss des Sendeschwerpunkts auf Ö1 liest Christoph Ransmayr heute um 11.05 Uhr in den „Radiogeschichten“ seine Erzählung „Als ich noch unsterblich war“. Dort schildert er seine Entdeckung von Sprache und Schrift mittels von Buchstabensuppen: „Als ich noch unsterblich war und meine Tage als kindlicher Analphabet fern aller Stundenpläne und Schulordnungen in märchenhafte Spiele vertieft verbrachte, deren chaotische Regeln ich allein bestimmen durfte, wurden mir manchmal selbst die Mahlzeiten zum Spiel.“

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