Banalität als Statussymbol: „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ in den Kammerspielen

Es ist das Jahr 1972 als der französische Filmemacher Luis Bunuel seine Gesellschaftssatire „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ auf die Leinwand bringt. Eine bitterböse Abrechnung mit dem „gehobenen Bürgertum“ und dessen egozentrisch-skurrilem Lebensstil.

Vergangenheit? Mitnichten. 50 Jahre später feiert heute eine ähnliche Gesellschaftsschicht – zum Beispiel  Bobos genannt – fröhliche Urständ. Den Beweis liefert jetzt das Linzer Landestheater mit einer Komödie von PeterLicht und Se Struck, die zwar noch Bunuels Titel trägt, aber statt diskretem Charme eine schrille Persiflage mit viel Witz und zugleich aktueller Realitätsnähe liefert. Premiere war am Freitagabend in den Kammerspielen.

Es sind drei Frauen und drei Männer, die sich zum gemeinsamen Kochen treffen bzw. treffen wollen. Ein Freundeskreis – „friends“, wie in der gleichnamigen TV-Serie – mit allen Attributen einer gesellschaftlichen Schicht, die weiß, wo es lang geht. Erfolgreich, cool, locker und allein schon sprachlich eine Klasse für sich („Ein Spontanbesuch? Kommt schon mal rein! Lecker, in echt…).

Genau dieses Auftreten und diese Sprache sind es, die in der Version von Peter Licht mit großer Präzision die Oberflächlichkeit und auch die Verlogenheit dieser „Freundschaft“ verdeutlichen ebenso wie die Lächerlichkeit und Banalität einer Bussi-Bussi-Umarmungs-Gesellschaft, fernab jeglicher echter Begegnung und Beziehung. Man denkt nicht zufällig an Events, wie sie die TV-Seitenblicke in abschreckender Weise ins Haus liefern. Pseudo-Lebensweisheiten und Illustrierten-Philosophie bis hin zu esoterischem Nonsens unterstreichen den Gesamteindruck.

Panoptikum der Seichtheit

Selbst als die Dinge für die Gruppe  schieflaufen, weil Termine verwechselt wurden und der leere Kühlschrank kein „Dinner“ zulässt, selbst dann wird nicht von „Problemen“ sondern nur von „Missverständnissen“ gefaselt und die Friends-Show geht weiter. Den ganzen Abend lang, eigentlich kein durchlaufendes Stück sondern ein Panoptikum, das aber  in jeder Szene die Seichtheit und Belanglosigkeit dieser selbsternannten gesellschaftlichen Equipe verdeutlicht. Und als der Pizzabote tot vor der Tür liegt, fragt sich das Sextett nur, ob die Pizza noch genießbar ist.

Dramaturgisch ist der erste Teil subtiler, im Verlauf der Ereignisse rückt die „Action“ in den Vordergrund bis hin zu der Auseinandersetzung, ob in einem „Wüstenstaat“ angeblich Frauen die Hand abgehackt werde, wenn sie sich mehr als 25 Meter von ihren Männern entfernen. In der Folge „regnet“ es abgehackte Hände auf die Bühne, ein Regieeinfall, den man sich sparen hätte können. Ebenso, dass die gesamte Bobo-Gruppe von „Kinderreportern“ erschossen wird.

Alles in allem hat Regisseurin Anna Marboe eine schlüssige Inszenierung auf die Bühne gebracht, turbulent und einfallsreich. Kurzweilig und trotzdem das Nachdenken herausfordernd. Das Bühnenbild ist dominiert von einer sich drehenden Plattform, durchaus ein Symbol für die Protagonisten, die immer um sich selbst und ihre – wie es in einem Song wörtlich heißt – „kleine Welt“ kreisen.

Autor PeterLicht (eigentlich Meinrad Jungblut) ist ein deutscher Indie-Pop-Musiker, ein Umstand, durch den das Bühnengeschehen musikalisch kongenial ergänzt wird.

Das Ensemble ist mit großem Einsatz und offensichtlicher Spielfreude bei der Sache, man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass den Schauspielerinnen und Schauspielern das Aufzeigen der Borniertheit und Oberflächlichkeit der Gesellschaft der Möchte-Gern-Wichtigen ein Anliegen ist.

Der frenetische Schlussapplaus nach der Premiere kam nicht von ungefähr für einen insgesamt ebenso unterhaltsamen wie anspruchsvollen Theaterabend.

Von Werner Rohrhofer

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