Berlinale-Wettbewerb ohne viele publikumstaugliche Filme

Goldene Bären werden am Samstag verliehen © APA/dpa/Soeren Stache

Selten noch waren im Wettbewerb der Berlinale, die am Samstag mit der Preisverleihung endet, so viele Filme versammelt, für die sich kaum ein Verleih finden wird und die so wenig tauglich für ein breites Publikum sind. Dabei handelt es sich keineswegs um Kunstfilme, sondern um solche, wo Zuschauer und Zuschauerinnen ratlos zurückbleiben. Nur in wenigen wird nach traditioneller Kino-Manier eine plausible Geschichte erzählt.

Das passiert in den zwei deutschen Beiträgen, so unterschiedlich sie auch sein mögen. Andreas Dresens „In Liebe, eure Hilde“ erzählt die letzten Wochen der NS-Widerstandskämpferin Hilde Coppi nach und kontrastiert die triste Zellenatmosphäre mit Rückblenden auf unbeschwertere Tage, aber auch auf ihre Arbeit im Widerstand.

Lesen Sie auch

„Sterben“ von Matthias Glasner klingt bedrückender als der Film ist, sind doch durchaus komische und schwarz-humorige Sequenzen eingestreut. Das mit drei Stunden überlange Familien-Drama ist zwar mit Handlung überfrachtet, doch vergeht die Zeit schneller als anfangs befürchtet. Das liegt nicht nur am abwechslungsreichen Ablauf, sondern auch an den bemerkenswerten schauspielerischen Leistungen, etwa von Corinna Harfouch und Lars Eidinger.

Letzteres trifft auch auf den iranischen Beitrag „My favourite Cake“ zu, ein warmherziges Drama um eine einsame Seniorin, die einen gleichaltrigen Taxifahrer für sich einnehmen kann. Die beiden verbringen einen glücklichen Abend miteinander, aber wie sie das tun, ist bezaubernd. Aber neuerlich ein Bärenpreis für einen iranischen Streifen? Die beiden Protagonisten Lily Farhadpour und Esmail Mehrabi hätten den Darstellerpreis verdient, eigentlich auch „My favourite Cake“ insgesamt, zeigt der Streifen doch ganz nebenbei den politischen Druck im Land und die Unbeugsamkeit seiner Bewohner und Bewohnerinnen. Es gibt Länder, aus denen immer wieder sehenswerte Filme kommen, und der Iran steht da ganz vorne – auch wenn dem Regie-Duo die Ausreise zur Berlinale untersagt wurde.

Ein Darstellerpreis würde auch Raúl Briones Camona gebühren, der in der US-mexikanischen Produktion „La Cocina“ einen leicht erregbaren Koch spielt und fast den gesamten Film durchs Bild tobt, schreit, kocht und seine Freundin beschwört nicht abzutreiben. Die Handlung spielt in der riesigen Küche eines New Yorker Restaurants, die wie ein unterirdisches Fegefeuer für ausländische Arbeitskräfte wirkt, die oft jahrelang auf ihre Aufenthaltserlaubnis warten und wie am Fließband Speisen zubereiten.

Video
Ich möchte eingebundene Social Media Inhalte sehen. Hierbei werden personenbezogene Daten (IP-Adresse o.ä.) übertragen. Diese Einstellung kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft in der Datenschutzerklärung oder unter dem Menüpunkt Cookies geändert werden.

Waren bisher immer ein oder zwei Filme im Berlinale-Wettbewerb, bei denen man sich fragte, auf welchem Weg sie sich dahin verirrt haben könnten, war es in diesem Jahr gleich eine ganze Handvoll. Der französisch-senegalesische Semi-Dokumentarfilm „Dahomey“, der die Rückgabe der ersten 26 in der Kolonialzeit geraubten Objekte von Frankreich an Benin erzählt, ist gut gemacht, erstaunlich auch der dargestellte begeisterte Empfang der Kunstwerke in Benin, doch fehlt ihm die Besonderheit für einen Kino-Wettbewerb.

Ähnliches gilt für den Streifen „Pepe“, in dem das einzige in Südamerika geschossene Nilpferd seine Lebensgeschichte erzählt. Es grunzt sich durch den Streifen, und das Publikum fragt sich, wo die Botschaft verborgen sein könnte. Genauso wie im Science-Fiction-Streifen „L’Empire“, in dem außerirdische Gute und Böse in Menschenkörpern gegeneinander kämpfen und der darstellerisch oft in peinliches Outrieren abgleitet.

Dem Abheben von der Wirklichkeit begegnete man des Öfteren im heurigen Wettbewerb. In „Another End“ können Hinterbliebene von Verstorbenen noch einige Zeit lang Abschied nehmen, indem sie in einer Klinik Menschen tageweise mieten, denen das Bewusstsein der jeweils Verschiedenen eingepflanzt wurde. Die Handlung des italienischen Beitrags wird am Ende nicht schlüssig aufgelöst. Der südkoreanische Beitrag „A Traveller’s Needs“ ist zwar nur halb so lang wie „Sterben“, doch er zieht sich, als wäre er von doppelter Dauer. Trotz Isabelle Huppert als Französisch-Lehrerin in Südkorea, die sich Hoffnungen auf einen Jungschriftsteller macht, schleppt sich der Film durch banale Konversation, die sich im Austausch von Höflichkeiten erschöpft.

„Hors du Temps“ aus Frankreich verhandelt den ersten Corona-Lockdown anhand zweier Paare in einem bequemen Landhaus mit zu wenig Witz für eine Komödie und zu wenig Ernst für ein Drama. „Black Tea“ ist die allzu exotische Geschichte einer ivorischen Frau, die ihre Hochzeit platzen lässt und nach China auswandert. Sie, die fließend chinesisch spricht, verliebt sich in ihren Chef, einen Teehändler. Der hat wiederum eine Tochter auf den Kapverden. Eine offenbar wohlhabende Gesellschaft ist ästhetisch fotografiert, selbst der chinesische Markt wirkt aseptisch. Der globale Süden als elegante Welt. Aber vielleicht winkt zumindest ein Kamera-Preis.

Dazwischen rangieren einige sehr ordentlich gemachte Beiträge: Etwa der irisch-belgische Beitrag „Small Things like These“, in dem Cillian Murphy eindrucksvoll den wortkargen Kohlenhändler Bill spielt, der sich immer mehr der katholischen Macht in seiner Stadt widersetzt. „Who do I belong to“ spielt in einer tunesischen Bauernfamilie: Die zwei größeren Söhne sind zum IS gegangen, einer von ihnen ist mit einer bis zum Schluss rätselhaften Frau zurückgekehrt. Ein Preis wäre ein politisches Statement in dem früher sehr politischen Berlinale-Wettbewerb.

Eindrucksvolle Bilder aus der Himalaya vermittelt die europäisch-asiatische Produktion „Shambala“. Als einer ihrer Männer verschwindet, macht sich eine selbstbewusste junge Frau auf die Suche nach ihm im Gebirge. Auch der US-Beitrag „A different Man“, in dem der Schauspieler Edward (Sebastian Stan) sein Gesicht verändern lässt, wurde allgemein gelobt.

In „La Langue Étrangère“ geht es um die Freundschaft eines französischen mit einem deutschen Mädchen und ihrem Hang zur Unwahrheit: Regisseurin Claire Burger kreiert zwei ausgezeichnet dargestellte Charaktere. Unbeschwert von allzu genauen historischen Vorgaben kommt „Gloria!“ daher: Ein Orchester aus Waisenmädchen entdeckt im Venedig des anbrechenden 19. Jahrhunderts das Klavier und die persönliche und musikalische Befreiung von Kirche und einer männerdominierten Gesellschaft. Ein Bär für die Filmmusik wäre denkbar.

Ein Kunstfilm ist dabei und könnte den Drehbuch- oder Kamerapreis gewinnen: „Architekton“ von Victor Kossakovsky: Minutenlang prasseln Steine einen Hang hinunter, geben Drohnenflüge über zerstörte ukrainische Stadtviertel einen Eindruck von der verheerenden Wirkung des Krieges wieder, zeigen Bilder den Abbau am steirischen Erzberg. Steine und Beton. In langsamen, Geduld verlangenden Bildern führt der Film durch den Umgang des Menschen mit Baumaterial.

Wer also käme in dem diesmal bunten Sammelsurium mitunter ziemlich sonderbarer Beiträge für einen Bären-Gewinn in Frage? Außer den beiden deutschen Beiträgen könnte es durchaus „Des Teufels Bad“, ein düsterer Film aus Österreich über eine Kindsmörderin des 18. Jahrhunderts, schaffen. Oder die dänisch-schwedische Produktion „Vogter“ über eine Gefängnisaufseherin, die an einem Häftling Vergeltung übt. Zumindest der Darstellerinnenpreis könnte für Sidse Babett Knudsen herausschauen.

(Von Stefan May/APA)

Das könnte Sie auch interessieren