Berührende Schicksale, wundervolle Musik

Salzkammergut 2024 lässt Tradition der Salonkonzerte wieder aufleben

Das Ensemble Vergessene Noten (o.) gibt vertriebenen und vergessenen Komponisten und Komponistinnen wie Mary Frances Dickenso-Auner eine Stimme.

Eine schöne, alte Tradition lassen die Macher der Kulturhauptstadt Salzkammergut 2024 wieder aufleben: Salonkonzerte.

Waren diese einst zur Erbauung ausgewählter Sommerfrischegäste in den Villen der feinen Herrschaften gedacht, so richten sie sich heute an alle Interessierten, die dazu ins alte Postgebäude nach Bad Ischl eingeladen sind. In einer Kombination aus Musik und Text widmet sich die Reihe unter dem Titel „Bleiben oder Gehen — Musik aus schweren Zeiten“ bis ins Kulturhauptstadtjahr 2024 hinein verschiedenen Themen. Gestartet wird am Samstag, 22. Oktober (19 Uhr), mit Werken und Geschichten von und zu vergessenen Komponisten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, v.a. aus der Zeit des Nationalsozialismus.

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Vertriebene Komponisten, vergessene Noten

„Die Idee zu den Salonkonzerten kam von Kulturhauptstadt-Intendantin Elisabeth Schweeger“, erzählt Benno Ure, der den historischen Hintergrund und das Konzept für die Veranstaltungsreihe liefert, im VOLKSBLATT-Gespräch. Ure taucht dafür tief in die Musikhistorie ein. „Es gibt so viele Noten von Komponisten und vergessene Schicksale, von denen man nichts weiß“, erzählt er. Vor zehn Jahren hat Ure eine solche Konzertreihe für die Hamburger Elbphilharmonie mit der stellvertretenden Konzertmeisterin des NDR Elbphilharmonie Orchesters, Marietta Kratz, gestartet. Sie ist Teil des Ensembles Vergessene Noten, das nun in wechselnden Besetzungen auch in Ischl auftritt.

Für den 22. Oktober hat Ure Texte erarbeitet etwa zu Robert Dauber (1922-1945), der wegen seiner jüdischen Herkunft ins KZ Theresienstadt kam, wo er als Musiker an der Oper „Brundibar“ mitwirkte. 58 Jahre nach seinem Tod ist das einzige von ihm erhaltene Werk im Nachlass seines Vaters, eines bekannten Jazzmusikers, aufgetaucht: eine Serenade für Violine und Klavier, die in Ischl zu hören sein wird. „Daubers Vater versuchte vergeblich, seinen Sohn aus dem Lager herauszuholen“, so Ure. Er hat Korrespondenz ausgegraben, Postkarten, die Robert Dauber während seiner Haft an seine Eltern geschickt hat. Dauber stirbt 1945 in Dachau, „der Vater fünf Jahre später an der Verzweiflung über das Schicksal seines Sohnes“, ist Ure überzeugt. Ein weiteres Werk aus dem Programm stammt von Hans Gál (1890-1987): Nachdem dieser als Jude von den Nazis mit einem Berufsverbot belegt worden war, emigrierte der Komponist 1938 nach England — und geriet über viele Jahre in Vergessenheit. Auch die Irin Mary Frances Dickenson-Auner (1880-1965), die in Wien wirkte, wurde aufgrund ihrer jüdischen Herkunft und als Mitglied der Freimaurer mit einem Berufsverbot belegt, komponierte jedoch eifrig weiter. Auch sie tat sich nach dem Krieg schwer, wieder Fuß zu fassen.

Gustav Mahler geriet zwar nie in Vergessenheit, aber sein Klavierquartett a-Moll war lange verschwunden: „Entdeckt wurde es im Nachlass von Alma Mahler“, so Ure, der die Historie des Werkes, das Mahler wohl selbst 1876 uraufgeführt und das auf einer Reise nach Russland verloren gegangen war, rekonstruierte. Die Französin Cécile Chaminade (1857-1944) war einst die erste Ritterin der Ehrenlegion und „in der ersten Welle der Frauenbewegung“, so Ure, in den USA zu großer Berühmtheit gelangt. „Chaminade war bei Queen Victoria eingeladen, beim Begräbnis der Königin wurde Musik von ihr gespielt“, weiß Ure. Im Ersten Weltkrieg gründete sie ein Krankenhaus — und konnte danach an frühere Erfolge als Komponistin nicht mehr anschließen.

Die Fortsetzung der Reihe am 28. Oktober stellt den Bezug zu heute her mit Musik aus der Jetztzeit, die in Ländern entstand, in denen ihre Schöpfer nicht zuhause sind: Etwa mit einem Werk der Russin Sofia Gubaidulina, die im Exil in Deutschland lebt.

Von Melanie Wagenhofer

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