Bienen, Menschen, Katastrophen

Gerhard Roths „Die Imker“: Der letzte Roman des verstorbenen Dichters

„... die abscheulichsten Verbrechen sind fast ausschließlich von normalen Menschen begangen worden“: Gerhard Roth
„... die abscheulichsten Verbrechen sind fast ausschließlich von normalen Menschen begangen worden“: Gerhard Roth © APA/Herbert Neubauer

Der Weltuntergang kommt in Gestalt eines undurchdringlichen gelben Nebels, der sich rasch ausbreitet und sich vor den Fenstern einer psychiatrischen Klinik wie eine Mauer aufbaut. Wer von ihm verschlungen wird, verschwindet.

Zurück bleiben Kleiderhaufen, Schmuck, Eheringe und das eine oder andere künstliche Gebiss. So beginnt jener Roman, den der am 8. Februar gestorbene Dichter Gerhard Roth, der am Freitag seinen 80er gefeiert hätte, hinterlassen hat, und der dieser Tage, illustriert von Erwin Wurm, ausgeliefert wird.

„Die Imker“ heißt das über 500-seitige Buch, das seinen Titel einerseits von seinem Protagonisten und Erzähler Franz Lindner alias Wilhelm Hermann und seiner Affinität zu Bienen bezieht, die er an die kleine Schar Überlebender weitergibt. Andererseits wird auch Pieter Bruegels gleichnamige Federzeichnung, die drei Gestalten mit Schutzmasken zeigt, die mit Bienenstöcken hantieren, während ein in einem Baum hockender Bub ihnen offenbar den Bienenschwarm stiehlt, beschrieben. Ein rätselhaftes Bild, in seiner vieldeutigen Auslegungsmöglichkeit durchaus Roths Roman entsprechend.

Bienen haben Roth seit jeher fasziniert und nicht nur in seinem Roman „Landläufiger Tod“ (1984), in dem der „verrückte“ Imkersohn Franz seinen Erstauftritt hat, ihre Spuren hinterlassen. Vor allem ist aber ganz explizit das „Haus der Künstler“ in der niederösterreichischen Landesnervenklinik Maria Gugging, mit dessen Insassen sich Roth Zeit seines Lebens auseinandergesetzt hat, der Ausgangspunkt.

Seine Insassen, Ärzte und Besucher überstehen auf wundersame Weise den Angriff des Killernebels und unternehmen in der Folge Erkundungsfahrten. In der Folge der plötzlichen Entvölkerung haben sich überall die schrecklichsten Unfälle ereignet. Doch nirgendwo blutige Opfer, sondern bloß Kleider und Utensilien, die auf die früheren Lenker und Passagiere schließen lassen.

„Normal“ ist verrückt

„Die Imker“ sind das nachgelassene Opus summum von Gerhard Roth. Die Frage, was normal und was „verrückt ist“, zieht sich durch das Geschehen, von dem nie ganz sicher ist, ob es sich als Realität oder als Möglichkeit, als Fakt oder als Gedankenexperiment ereignet. „Ein sogenannter Geisteskranker ist ein Schutzbefohlener der Gesellschaft, die alles nur nach dem Faktor der Nützlichkeit beurteilt“, heißt es einmal. „Dabei ist es die sogenannte Normalität, die für die gesamte Geschichte der Menschheit verantwortlich ist: Kriege, Diktaturen, die abscheulichsten Verbrechen sind fast ausschließlich von normalen Menschen begangen worden.“

Der Hauptstrang, das Organisieren eines Lebens nach der Katastrophe, hält immer wieder Überraschungen bereit. Das wirkt wenig konsistent, mit Logik kommt man gar nicht weiter. Auch angesichts des Untergangs beherrschen Konkurrenz statt Solidarität, Krieg statt Gemeinsamkeit das „normale“ Denken. Das ist das aktuelle, düstere Vermächtnis Gerhard Roths. Der Roman schließt mit einem „Nachwort“: „Franz Lindners Aufzeichnungen wurden sechs Monate nach seinem Tod im ,Haus der Künstler´ gefunden. Sie befanden sich in einem Karton mit Schreibwerkzeugen und Notizbüchern. Er trug die Aufschrift: VERBRENNEN.“

Gerhard Roth: Die Imker. S. Fischer, 560 Seiten, 32,90 Euro

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