Brandpfeile auf eine geschlossene Schneedecke

Premiere: Jelineks „Schnee Weiß“ zum Missbrauch im ÖSV im Landestheater Linz

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Spannend, schlüssig, witzig. Die Premiere des Jelinek-Stückes „Schnee Weiß“ beglückte am Freitag im Landestheater Linz mit einem Spitzenteam. Die extrem gut trainierten Protagonistinnen zerlegen den ÖSV bis auf den letzten Bestandteil. Wissend, dass dieser sich selbst in der gleichen Form wieder zusammenbaut, nennt Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek ihr Stück im Untertitel „Die Erfindung der alten Leier“, leiert damit auch ein allgemeines Bild patriarchaler Machtsysteme an, zoomt dann aber hinein bis zu den eitrigsten Pickeln der österreichischen Sportstrukturen.

Nicola Werdenigg geb. Spieß, trat 2017 eine Enthüllungslawine los, als sie ihr Wissen und die eigene Erfahrung in allen Institutionen des ÖSV nach 40 Jahren öffentlich machte. „Die Kuh“ ist ihr Synonym im Stück. Die üblichen Verdächtigen stilisieren sie unverzüglich zur Täterin, gestützt von willigen Medien.

Regisseurin Karin Plötner und Dramaturgin Wiebke Melle schlagen zusammen mit Bühnenbildnerin Anneliese Neudecker in drei Abschnitten einen Weg durch den Dschungel der gewohnten Wortlawinen der Nobelpreisträgerin. Als kaputte Stützverbände, Trainingskleidung und entblößte Körper passen Johanna Hlawickas Kostüme perfekt. Plötner meißelt dazu Figuren, formt alle Sorten der vom System gezeugten Kreaturen.

Sieben überwältigende Darstellerinnen

Sieben überwältigenden Darstellerinnen steigen die Textgebirge hoch, stürzen sich in sprachliche Abgründe, kriechen unter Schneedecken, weinen die Tränen der Opfer und vertreten die Positionen der Täter: Eva-Maria Aichner, Katharina Hofmann, Lorene Emmi Mayer, Theresa Palfi, Cecilia Perez, Nataya Sam und Angela Waidmann.

Unbeirrt wechseln sie die Fronten von der Selbstherrlichkeit der österreichischen Nationalverantwortlichen in elende Häufchen Menschen, zermahlen und zermürbt von patriarchalen Strukturen und dem damit einhergehenden Macht- und sexuellen Missbrauch. Aber auch Erfolgsträgerinnen, die zwar viel Geld kosten, aber ein Vielfaches einbringen. „Der Verband erreicht immer, was er will, aber nichts erreicht den Verband“ Erst strecken sie nur ihre Köpfe aus Löchern in einem schwarzen Skihang. Verbal spalten sie Spalten, drehen das Wort im Mund um, und stopfen es jenen, die es ge- und missbrauchen zurück in die Kehle, auf dass es dort stecken bleibe.

Der Übersichtsplan eines Skigebietes füllt dann die Bühne. Jesus, das Opfer schlechthin, schaukelt himmelwärts. Das Leiden hat sich ausgezahlt, Erfolg bestätigt es. Der eiserne Vorhang fällt. Eine Guerrilla-Truppe schleicht sich an. Hinter dem Vorhang ein strahlend Schnee-weißes Plastikskigebiet, an dem Gott selbst beteiligt ist.

Gedanken- und Meinungslawinen krachen aufeinander. Grotesk ehrlich, aufrüttelnd und kurzweilig. Begeisternde Homogenität von Regie, Dramaturgie, Bühne, Kostüm und Darstellung. Großer Applaus — mehr als verdient. Ach ja, in den letzten Sekunden tauchen zwei nackte Männer auf — blinde Affen.

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