„Das Gefühl, nicht zu genügen, gehört dazu“

Bernhard Braunstein zeigt in „Stams“ den Alltag in der Wintersportkaderschmiede

Bernhard Braunstein war selbst einst leidenschaftlicher Skifahrer.
Bernhard Braunstein war selbst einst leidenschaftlicher Skifahrer. © M. Hasenoehrl

Stams, der Ort an dem Heldinnen und Helden gemacht werden — oder auch nicht. Der Salzburger Regisseur Bernhard Braunstein hat sich genau in dem Tiroler Skigymnasium umgesehen, nun ist sein Dokumentarfilm „Stams“ im Kino zu sehen.

VOLKSBLATT: Vor kurzem ist eine Ski-WM zu Ende gegangen, ohne Goldmedaille für Österreich. Für viele eine Katastrophe. Sehen Sie das nach Ihrem Film jetzt anders?

BERNHARD BRAUNSTEIN: Die Frage, ob jemand gewinnt, oder nicht, die hat in meinem Film ja gar keine Relevanz. Diese Frage hat mich nicht so interessiert. Mich interessiert eher, welche Opfer die jungen Leute erbringen, die mentale Stärke, die sie haben, der Druck, den sie aushalten müssen, das Leid und die Freuden, die sie erleben, die Kameradschaft, der Alltag — darauf liegt der Fokus.

Können Sie jetzt besser nachvollziehen, wie es den Athleten mit solch Enttäuschungen geht?

Das ist eine Erfahrung, die sie schon sehr früh machen. Das gehört für die jungen Sportler und Sportlerinnen von früher Jugend an zum Alltag, das Gefühl, nicht zu genügen, wieder keine gute Platzierung gemacht zu haben. Bei den Jugendrennen, da sieht man oft die Traurigkeit, die Frustration. Das sieht man in den Weltcup-Übertragungen selten, das sind Heldengeschichten, die dort inszeniert werden.

Ihr Bezug zum Wintersport?

Ich war selber ein sehr leidenschaftlicher Skifahrer, war in einem Skiclub und bin kleinere Rennen gefahren. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, dass man sich für so einen Weg entscheidet. Das Erleben des Körpers, der Geschwindigkeit, der Natur, das kann schon sehr intensiv sein.

Ich habe auch die Weltcuprennen verfolgt, die Heldinnen und Helden angefeuert. Es gab eine große Faszination für den Skisport, und die ist bis heute geblieben, ich schaue mir auch heute noch gerne Rennen an.

Warum sind Sie in Ihrem Film zum Beginn so einer möglichen Heldenkarriere gegangen?

Mir war klar, da gibt es Stams, ein mythisch aufgeladener Ort. Die Idee war, zu zeigen, wie es den jungen Leuten, die sich für so eine Karriere entscheiden, geht. Meistens werden in Sportdokumentationen Helden- und Heldinnengeschichten erzählt, die kennen wir, aber das alltägliche Leben ist eher unbekannt, darauf war ich neugierig.

War man in Stams sofort einverstanden, die harte Ausbildung in einem Film zu zeigen?

Es gab sehr viele Vorgespräche, eine lange Vorbereitung. Ich habe auch gleich klar gemacht, dass ich kein Schwarz-Weiß-Bild zeichnen will, ich möchte weder verteufeln, noch glorifizieren, aber schon einen kritischen Blick auf die Schule werfen. Ich habe klar gemacht, dass das kein Werbefilm werden, sondern den Alltag zeigen soll.

Und, das haben sie mir ermöglicht. Ich konnte mich ganz frei in der Schule bewegen, habe keinerlei Zensur erfahren, und sie hatten kein Mitspracherecht am Schnittprozess. Mit den Jugendlichen ist natürlich alles auf gegenseitigem Einverständnis gedreht worden.

Es gibt durchaus Szenen, die verstörend sind, etwa, die über Doping. War für Sie das auch anders, als erwartet?

Zum Thema Doping sieht man im Film nur eine Szene aus einer Schulstunde, in der Schule wird das schon breitgehender diskutiert. Ich habe die Frage der Schmerzmittel interessant gefunden. Dass viele Schmerzmittel nehmen, um trotz Schmerzen trainieren zu können, das hat mich irritiert.

Das Thema Missbrauch kommt im Film nicht vor.

Ich war auf diese Thematik sensibilisiert und vorbereitet. Mein Zugang war, nach Stams zu gehen, genau und unvoreingenommen den Alltag zu beobachten und zu schauen, was auf mich zukommt. Wenn diese Thematik zum Beispiel von den Schülern gekommen wäre, wäre sie Teil des Films geworden.

Gäbe es einen Weg in den Spitzensport ohne Drill, ohne Schmerz und Verletzungen?

Ich würde mir das wünschen. Mir hat das sehr weh getan zu sehen, in wie jungen Jahren sich die Sportlerinnen und Sportler schon verletzen. Das ist erschütternd und traurig, und es war für mich wichtig, dass das Teil des Films wird, und man zumindest den Diskurs forciert und es Veränderungen gibt.

Es ist von Sportart zu Sportart verschieden, aber beim Skifahren gäbe es sicher sehr viele Hebel, damit sich das Verletzungsrisiko deutlich verringern würde. Es gibt die Tendenz, immer schneller, immer weiter, immer spektakulärer, und das wird über die Kurssetzung und die Materialfrage umgesetzt: Die Skier werden immer schneller, die Skischuhe sind gar nicht mehr gedämpft, damit die Kraftübertragung unmittelbarer ist.

Die Belastung des Körpers wird dadurch größer. Ich hätte kein Problem damit, wenn die Rennen ein bisschen langsamer würden, aber sich dafür die Leute weniger verletzen würden. Im Film sagen die Jugendlichen auch, wir bräuchten mehr Pausen. Dieser Aspekt des Drucks und der Belastung ist auch etwas, wo man ansetzen könnte.

Müsste man im Spitzensport an Schrauben drehen, damit das in der Ausbildung ankommt? Denn solange es bei den Profis um schneller, weiter, spektakulärer geht, muss die Ausbildung auch in diese Richtung gehen, sonst haben sie schon vor dem Start verloren.

Ja, klar. Wenn die jetzt anfangen, das Spiel nicht mehr mitzuspielen, dann sind sie da nicht mehr vorne dabei. Da müssen an verschiedenen Ecken und Enden Schrauben gedreht werden, das macht es auch so schwer. Natürlich aber haben die verschiedenen Institutionen auch ihre Verantwortung.

Dieses Thema schneller, stärker, … — Ist das eine der Parallelen zur Gesellschaft, die Sie erzählen wollten?

Wenn man das im Film sieht, dann würde ich mich freuen. Mir persönlich war es wichtig, dass „Stams“nicht nur ein Film über Jugendliche im Hochleistungssport ist, sondern Thematiken aufwirft, die viele Menschen betreffen. Die Frage der Leistungsgesellschaft zum Beispiel. Auch in anderen Berufen stehen Menschen sehr unter Druck, haben mit Überbelastung zu kämpfen. Jeder muss die optimale Leistung bringen, manchmal egal zu welchem Preis.

Mit BERNHARD BRAUNSTEIN sprach Mariella Moshammer

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