Der andere Schubert …

... grandios vorgeführt vom L'Orfeo Barockorchester auf vier CDs

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0761203522828.jpg © cpo

Klischeehaft wird Franz Schubert für gewöhnlich als Biedermeierkünstler und Schöpfer genrehafter Lieder angesehen. Mit dieser Gewohnheit hat das renommierte L´Orfeo Barockorchester unter der herausragenden Leitung seiner Gründerin Michi Gaigg ganz gründlich aufgeräumt. Mit der Gesamtaufnahme des symphonischen Werkkomplexes von Schubert, entstanden bei der heurigen Schubertiade in Hohenems, werden Heimhörer klassischer Musik überrascht.

Schuberts Musik für den Originalklang erweckt

Das vier CDs (cpo) sind das schönste Geschenk, das sich das Ensemble zum 25-jährigen Bestandsjubiläum selbst machte. Für die Dirigentin wurde zugleich ein Lebenstraum erfüllt, Schuberts symphonischen Ambitionen nachzugehen und seine Musik für den Originalklang zu erwecken. Allein die Idee ist einer Prämie würdig, und erst recht, wenn man die Aufbereitung und wissenschaftliche Prägnanz aus dem Booklet mit der Auflistung chronologisch penibel erforschter Werkentstehung zu lesen bereit ist. Denn genau dieses Vorgehen dürfte bei Schuberts Eroberungswünschen nach der Großräumigkeit einer Symphonie nicht leicht sein. Erstaunlich jedenfalls Schuberts Oeuvre von über 600 Liedern und anderen Gattungen, und dann noch die acht Symphonien eines so kurzen Lebens von nur 31 Jahren. Genau sind es in den Aufnahmen neun, denn diese beinhalten auch neben dem ausgereiften symphonischen Werkkosmos jeweils auch symphonische Fragmente zu Orchesterstücken oder die Entstehung der mitten in der Exposition abbrechenden Partitur zu einer Ouvertüre.

Schuberts lebhaftes Interesse an der Gattung Symphonie währte in jeder Phase seines Lebens. Es begann schon in Kindesjahren. Schon 1810 schreibt der 13-Jährige Fragmente, die erste Symphonie beendete er 1813, also mit 16 Jahren. Das „beendet“ wird bei jedem Werk vermerkt, weil Beginn und Ende mitten im Arbeitsfluss Schuberts wohl nicht genau definierbar sind.

Die „Unvollendete“ entstand 1822

Aus dem besonders produktiven Jahr 1815 stammen die zweite und dritte Symphonie, aus 1816 datieren die „Tragische“, die vierte, und die fünfte Symphonie, eine Zeit, in der Schubert viel Mozart hörte, 1818 die Sechste, bekannt als „Kleine C-Dur“ Symphonie. Aus 1821 existiert eine Symphonie in E-Dur in 115 Takten, 1822 entsteht die populäre 7. Symphonie in h-Moll mit dem rätselhaften Beinamen „Unvollendete“ und 1825/26 als Höhepunkt die als „Große C-Dur“ bekannte Symphonie, genannt Gmunden-Gasteiner Symphonie, die Schubert nie hörte. Entdeckt hat sie Schumann, der das Werk als einen „dicken Roman in vier Bänden“ bezeichnete, uraufgeführt 1839 von Mendelssohn-Bartholdy. Die angeblich „himmlischen Längen“ erwiesen sich im Originalklang mehr als kurzweilig und man hörte dankbar den anderen Schubert mit einer Verbeugung vor dem genialen Symphoniker.

Es sind „Lieder ohne Worte“ (Michi Gaigg). Mit speziellen Orchesterfarben und einem Sprachcharakter, der in einer anderen als der gewohnten Sprache Schuberts klingt. Nämlich ganz persönlich als Visionär einer neuen Symphonik. Sich mitteilend im melodischen Reichtum, in der neuen Instrumentation auf harmonisch revolutionärem Wege. Volkstümlich, echt wienerisch, charmant emotional verpackt. Auch bei der Abstimmung der Tempi oder dem Aufbau dynamischen Gestaltens, wie alle diese Vorzüge dem großartigen L´Orfeo Orchester locker-begeisternd bei der Einspielung abzugewinnen waren. Gratulation schon heute zum verpflichteten Gastspiel in der Hamburger Elbphilharmonie im Februar 2022.

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Von Georgina Szeless

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