„Der Film ist ja ein Plädoyer für den Glauben“

Regisseurin Ruth Mader über ihre eigene katholische Erziehung und Filmarbeit mit Kindern

Filmemacherin Ruth Mader
Filmemacherin Ruth Mader © Peter Payer

Es geht um Leid, um Radikalismus und um Traumatisierung. Ruth Maders „Serviam“ schont sein Publikum nicht und gibt Einblick in ein katholisches Mädcheninternat in den 1980er-Jahren in Wien. Das VOLKSBLATT sprach mit der Regisseurin, die selbst einst eine Klosterschule besucht hat.

VOLKSBLATT: „Serviam“ ist beim Film Festival in Locarno im Wettbewerb gelaufen. Ist es noch einmal extra spannend, wenn er vor heimischen Publikum anläuft?

RUTH MADER: Ja, natürlich! Jetzt war der Film international ‘mal ein Erfolg, er war bei renommierten Festivals in Tokio, in Denver, Frankreich, Kairo. Aber beim heimischen Publikum ist es noch einmal etwas anderes. Ich freue mich auf die ersten Reaktionen.

Der Film spielt in den 1980ern und ist autobiografisch inspiriert. Welche Recherchen haben Sie noch anstellen müssen?

Wir haben sehr viel recherchiert und waren in Klöstern. Um für die Schwester eine Figurenformung zu finden, also für eine tiefgläubige Frau, haben wir mit vielen Ordensleuten gesprochen.

Sind Ihnen da gravierende Unterschiede zu den 80ern untergekommen?

Wir haben es deswegen in den 80ern angesiedelt, weil die getrenntgeschlechtliche Erziehung heute nicht mehr erlaubt ist mit dem Öffentlichkeitsrecht. Aber der Glaube ist ja nach wie vor ein brisantes Thema. Ob jemand glaubt oder nicht, hat sich nicht verändert.

Wo haben Sie gedreht?

Gedreht haben wir in St. Ursula den Schulteil und den Klosterteil im Stift Zwettl. Es war sehr nett, dass uns beide das genehmigt haben. Wir hatten auch Unterstützung von der Erzdiözese.

St. Ursula war ja Ihre ehemalige Schule. Sind da irgendwelche verborgenen Erinnerungen hochgekommen, als Sie wieder vor Ort waren?

Ja, schon. Im Speisesaal war der Geruch noch immer der gleiche. Das war verwunderlich nach so vielen Jahren. Einige Sachen waren nicht mehr vorhanden, wie das Internat. Das haben wir im Studio nachgebaut. Wir haben schon viel verändern müssen. Heute ist die Schule nicht mehr so elegant, sondern mehr so ökologisch offen.

Sie haben einmal gesagt, dass es gut war, zu wissen, wie es sich anfühlt, solch eine katholische Erziehung zu bekommen. War denn Ihre Erziehung so, wie wir es jetzt auf der Leinwand sehen?

Die ganze Bußgürtelgeschichte ist dazugekommen. Es waren eher die Atmosphären wie dieses kollektive Duschen, Essen, 200 Mädchen im Speisesaal. Auch die Mädchenerziehung und das Sportfest. Aber ich glaube, dass diese getrenntgeschlechtliche Erziehung für Mädchen eigentlich sehr gut ist. Schade, dass das aufgegeben worden ist.

Wo sehen Sie da die Vorteile?

Dass es gar nicht sein kann, dass ein Bub besser sein könnte in irgendwas. Sondern, es gibt einfach die besten Mädchen in allen Kategorien. Und ich glaube, dass das eigentlich ein Selbstbewusstsein stärkt.

Erwachsene kommen nur sehr punktuell in Ihrem Film vor, ein Vater zitiert Luzifer: „Non serviam“ …

Diese Figur soll tatsächlich der Teufel sein. Die Szene thematisiert auch den beginnenden Säkularismus in den 80er-Jahren, wo man sich vom Glauben abwendet. Und der Film ist ja eigentlich ein Plädoyer für den Glauben.

Kann so einer katholischen Erziehung eigentlich etwas Gutes abgewonnen werden?

Ich finde Glaube an sich gut. Ich finde, dass es nicht gut ist, ohne Glauben zu leben. Das andere ist, dass sehr gute und tiefe Freundschaften in meiner Zeit im Internat entstanden sind.

Das heißt, Ihr Glaube ist durch die Erziehung nicht ins Wanken geraten?

Nein, ich war während dieser Zeit im Internat sehr gläubig. Ich habe sehr an Gott geglaubt.

Und wie ist das heute?

Das variiert. Manchmal gibt es Jahre, wo ich entfernter bin vom Glauben, manchmal bin ich näher zum Glauben.

Trotz optischer Strenge funktioniert der Film stark auf emotionaler Ebene. Wie gelingt Ihnen das?

Mir ist es immer wichtig, den filmischen Raum gut zu definieren, so dass jede Einstellung stimmt. Dann kann man sich gut auf die Gefühle der Darsteller konzentrieren. Man räumt das Bild frei von unnötigen Dingen, schafft einen eigenen filmischen Raum, eine Klaustrophobie. Wir haben ja auch in der Helligkeit das Grauen erzeugt, was relativ neu ist.

Als ich Maria Dragus als Nonne gesehen habe, habe ich sofort an ihre Rolle in „Das weiße Band“ von Michael Haneke denken müssen, wo es ja auch um Radikalismus geht. Warum haben Sie sich für sie entschieden?

Ich habe sie in „Licht“ von Barbara Albert gesehen, da hat sie mich fasziniert. Ich dachte, das ist die beste Schauspielerin, die das spielen kann. Sie hat mir gleich zugesagt, es war eine hervorragende Zusammenarbeit.

Die wichtigsten Darsteller in „Serviam“ sind die Kinder. Wie war die Arbeit mit ihnen?

Das war mit einer Offenheit möglich. Die Kinder haben, sobald sie besetzt waren, das ganze Drehbuch bekommen, und wir haben Gespräche darüber geführt. Die Kinder waren ganz fantastisch und haben sich hervorragend auf ihre Rollen vorbereitet. Die Leona Lindinger, die die Sabine spielt, hat Klavierspielen gelernt und sie hat wie die anderen 200 Kinder am Sportplatz die Turnübungen einstudiert. Sophia Gómez-Schreiber, die normalerweise gar nicht singt, hat sich das getraut. Und Anna Elisabeth Berger hat sehr viel Naturtalent mitgebracht. Sie ist eine sehr spontane Schauspielerin, die einfach am Punkt ist, ohne dass man viel sagt. Aber wir haben auch Wochen davor geprobt, damit alle Fragen gestellt werden konnten.

Seit den Anschuldigungen an Ulrich Seidl gibt es einen besonderen Fokus auf Filme mit Kindern. Wie geht es Ihnen mit dieser Diskussion?

Ich finde es ein bisschen komisch. Er hat seine Filme immer so gemacht, das ist seine Arbeitsweise, die man kennt. Er arbeitet immer mit Laien, denen er wenig zum Drehbuch sagt. Ich finde es ein bisschen seltsam, dass jetzt solche Vorwürfe kommen, denn diese Diskussionen hätten schon viel früher kommen können. Ich finde, es ist jetzt einfach modern und zeitgeistig geworden, solche Diskussionen zu führen.

Es gibt viele Horrorelemente und Referenzen in „Serviam“ …

Der Film ist ein Thriller mit Horrorelementen. Thriller ist mein Lieblingsgenre, das ich auch am liebsten schaue. Also, Hitchcock war hier Vorbild, „Shining“ von Kubrick und „Halloween“ von John Carpenter.

Am Ende landet die Schwester in Afrika. Positives oder negatives Ende für Sie?

Eigentlich ein positives Ende, obwohl man es schon ambivalent deuten kann. Aber sie bekommt eine neue Herausforderung und vor allem eine Chance, alles wieder gutzumachen.

Interview: Mariella Moshammer

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