Der „theatrale Fieberkopf“ Peter Turrini feiert den 80. Geburtstag

Der Dichter fasst trotz seiner Parkinsonerkrankung weiterhin die Welt in Dialoge

2022 erhielt Peter Turrini die Ehrenbürgerwürde seiner Heimatgemeinde Maria Saal verliehen. © Foto: APA/Eggenberger

Den Tod, der ihm laut eigener Aussage seit einigen Jahren mit Nordic Walking Stöcken auf den Fersen ist, will sich Peter Turrini weiterhin mit ungebrochener Schaffensenergie und Galgenhumor vom Leib halten, auch wenn die Begleitumstände immer schwieriger werden: „Der theatrale Fieberkopf funktioniert weiterhin, für den Rest meiner Organe kann ich jedoch keinerlei Garantie abgeben“, sagt der Dichter. Am Donnerstag feiert er seinen 80. Geburtstag.

Diese Feier wolle er privat halten, bittet Turrini um Verständnis, und hat die Teilnahme an sämtlichen an ihn herangetragenen öffentlichen Festivitäten abgelehnt. Seine Parkinsonerkrankung zwinge ihn zu regelmäßigen Spitalsaufenthalten. Dass er diese weiterhin zur Arbeit, zur Findung und Erfindung von Dialogen, nützen kann (die er zunächst auf Diktafon spricht und nach dem Abtippen durch eine Nachbarin wieder und wieder korrigiert), ist ihm ein Lebenselixier. Für das Theater in der Josefstadt, dessen Ehrenmitglied Peter Turrini seit 2014 ist, und den Abschluss der Direktion von Herbert Föttinger, in der bereits neun Turrini-Uraufführungen stattfanden, schreibt er das Stück „Was für ein schönes Ende“. Zwei weitere Stücke sind in Arbeit oder zumindest in seinem „Fieberkopf“.

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Anlass, sich in einem Stück grundsätzliche Gedanken über Fragen von Gerechtigkeit und Verhältnismäßigkeit zu machen, habe ihm das öffentliche An-den-Pranger-Stellen einer mehrköpfigen syrischen Familie und ihrer Unterstützungsleistungen geliefert, gibt der Autor Einblick in seine aktuelle Schreibwerkstatt. Dafür sei er aber noch ebenso auf der Suche nach der geeigneten Form wie für einen Versuch, „das Entsetzlichste und das Schönste des Lebens“ in ein Stück zu fassen, das tragische und komische Seiten seiner Biografie gleichermaßen behandeln soll.

Auch für diese noch zu schreibende Tragikomödie dürfte ein Leitsatz gelten, den Turrini einmal formuliert hat: „Schriftsteller sind Ausdenker, Fantasierer, Lügner und keine Kopisten des wirklichen Lebens. Es geht nicht um die biografische Wahrheit, sondern – wenn es gelingt – um Wahrhaftigkeit.“ Dass sich der in seinem Gesprächsbuch mit Erwin Pröll formulierte einstige Lebenstraum „ein Tag Präsident und drei Tage Papst“ wohl nicht mehr erfüllen wird, damit dürfte sich der Dichter abgefunden haben.

Der Lebensweg des am 26.9.1944 in St. Margarethen als Sohn eines italienischen Kunsttischlers und eines steirischen Kindermädchens Geborenen, der in Maria Saal aufwuchs und in Klagenfurt Hauptschule und Handelsakademie besuchte, war keineswegs vorgezeichnet. Als Sohn eines Ausländers und als dicker Bub hat er sich gleich zweifach als Außenseiter empfunden. Dass er durch das Ehepaar Gerhard und Maja Lampersberg schon als Jugendlicher am Tonhof mit Kunst und Künstlern, Literatur und Literaten in Berührung kam, „war ein Geschenk für mein Leben“, sagt Turrini. Für die Eltern war diese Flucht in eine andere Welt allerdings keineswegs leicht.

Nach Schule und Bundesheer verdiente er seinen Lebensunterhalt zunächst unter anderem als Schreibmaschinen-Vertreter für Olivetti und Texter und Kampagnenorganisator der US-Werbeagentur Walter J. Thompson. „1967 ergriff Turrini die Flucht aus dem werktätigen Dasein und machte sich auf den Weg in die berüchtigte Hippiekolonie in Lindos auf der griechischen Insel Rhodos“, heißt es in Christine Riglers Turrini-Biografie. „Er war nun endlich beim Schreiben, zumindest ein paar Monate lang.“ Dort entsteht sein erstes Stück „Rozznjogd“, mit dem er das Lebensgefühl seiner Generation traf. Die Uraufführung am 27. Jänner 1971 im Wiener Volkstheater mit Franz Morak und Dolores Schmidinger macht den jungen Autor schlagartig bekannt.

Seither hat der Dramatiker ohne Unterlass Erfindung und Vorfindung, Dichtung und soziales Gewissen in Stücke gepackt. „Offensichtlich halte ich die Welt nicht aus, ohne sie in Theaterfantasien zu verwandeln“, sagt er. Stücke wie „Sauschlachten“ (1972), „Josef und Maria“ (1980), „Die Minderleister“ (1988) oder „Alpenglühen“ (1993) wurden Fixpunkte des deutschsprachigen Repertoires, andere sorgten kurzzeitig für Erregung.

„Über 50 Theaterstücke, 8 Drehbücher und 6 Hörspiele“ von Peter Turrini betreut der Thomas Sessler Verlag und erinnert damit auch an eine Phase von Turrinis Leben, in der der Dramatiker dem Theater untreu wurde. „Das Fernsehen ist das einzige Medium, das wirklich Massen erreicht“, erkennt er, der soziales Bewusstsein schaffen und Veränderung anstoßen will. Gemeinsam mit dem Autor Wilhelm Pevny und dem Regisseur Dieter Berner erarbeitet er ein Konzept für eine Serie, die Fernsehgeschichte schreibt: die „Alpensaga“ (1974-79). „Wir wollten das Bild des Bauernstandes und sein mediales Erscheinungsbild von Grund auf verändern.“ Das gelang dem Trio. Heftige Proteste begleiteten die Dreharbeiten und die Ausstrahlung. Auch die später daran anschließende „Arbeitersaga“ (gemeinsam mit Rudi Palla, 1984-90) führte zu lebhaften Debatten.

Diese Debatten befeuert er auch immer wieder aktiv. Mit Essays und Reden schaltet er sich ins politische Geschehen ein. Aufsehen erregende Reden hielt er etwa 1986 in der Anti-Waldheim-Bewegung (der er auch die Idee zu dem von Alfred Hrdlicka entworfenen und heute im „Haus der Geschichte Österreich“ stehenden Holzpferd lieferte) am Stephansplatz, 1995 anlässlich der 50-Jahr-Feier der Zweiten Republik am Heldenplatz, wo er kurz nach dem Attentat auf Roma in Oberwart Österreich eine „Mörderrepublik“ nannte, und 2018 im SPÖ-Parlamentsklub, wo er seinem Zorn über die politische Gegenwart Ausdruck verlieh: „Was uns bedroht, sind nicht die Ozonlöcher, sondern die Arschlöcher.“

1999 begann mit der Uraufführung von Gerd Kührs Oper „Tod und Teufel“ zu Turrinis Stück eine Beziehung zum Musiktheater, die 2002 an die Staatsoper führte: Zu „Der Riese vom Steinfeld“ schrieb Friedrich Cerha die Musik. Johanna Doderers Oper „Schuberts Reise nach Atzenbrugg“ zu einem Libretto von Turrini wurde 2021 am Gärtnerplatztheater in München uraufgeführt.

Peter Turrini betätigte sich zudem als Schauspieler, nahm Tonträger auf und führte Regie. Von ihm sind auch Gedicht- und Essaybände, die Novelle „Die Verhaftung des Johann Nepomuk Nestroy“ (1998) und die Kinderbücher „Was macht man, wenn … Ratschläge für den kleinen Mann“ (2009) und „Manchmal ist ein Fasan eine Ente“ (2013) erschienen. Elisabeth Scharang drehte 2009 „Vielleicht in einem anderen Leben“, das auf einem Drehbuch von Turrini und seiner Lebensgefährtin Silke Hassler beruht und auf das Theaterstück „Jedem das Seine“ zurückgeht.

Sein bisher einziger Roman erschien 1972: „Erlebnisse in der Mundhöhle“. „Er war literarisch besonders misslungen und hat mir die Erkenntnis gebracht, dass ich ein Dramatiker bin und nichts anderes“, sagt Turrini. „Selbst meine Kinderbücher und Novellen und Gedichte und Interviewbände spielen sich letztendlich in meinem Kopf als Dialog ab.“

2010 wurde Peter Turrini zum Ehrendoktor der Universität Klagenfurt ernannt, 2011 mit einem „Nestroy“ für sein Lebenswerk, 2017 mit dem Kulturpreis des Landes Kärnten ausgezeichnet. 2022 erhielt der die Ehrenbürgerwürde seiner Heimatgemeinde Maria Saal, ein Jahr später den Axel-Corti-Preis. Sein literarischer Vorlass wurde vom Land Niederösterreich angekauft, da sein Schaffen zur „österreichischen Zeit- und Literaturgeschichte“ zähle, „Wirksamkeit und Qualität“ seiner Werke stünden „außer Frage“.

Der Vorlass wird im Archiv der Zeitgenossen in Krems betreut, damit auch die künftigen Zeitgenossen von ihm profitieren, gibt es ein Peter-Turrini-DramatikerInnenstipendium. Ernst wolle er das alles nicht nehmen, meinte Turrini schon vor ein paar Jahren dazu: „Früher wurde ich als ‚Orang-Utan, der aus den Kärntner Wäldern hervorgebrochen ist‘ apostrophiert, und jetzt bin ich halt ein ‚Klassiker‘. Mich erreicht das alles nicht.“