Der vergessene Wert von einem Teller Essen

Köchin Agnes Karrasch ließ sich in der Doku „She Chef“ auf ihrem Weg in die Spitzengastronomie begleiten

Eine starke junge Frau, die ihren Weg geht: Agnes Karrasch
Eine starke junge Frau, die ihren Weg geht: Agnes Karrasch © Filmdelights

Nach dem Kinostart der Doku „She Chef“ im Linzer Moviemento verschwindet sie sofort in die Küche des Gelben Krokodil, um Wal-Häppchen vorzubereiten.

Agnes Karrasch (30), gebürtige Oberbayerin, hat im Steirereck und dann bei Sternenköchen in Deutschland und Spanien gelernt, ehe sie auf den Färöer-Inseln gestrandet ist.

VOLKSBLATT: Was muss ein guter Koch bzw. eine gute Köchin mitbringen?

AGNES KARRASCH: Leidenschaft.

Wie sind Sie zum Kochen gekommen?

Schon als Kind habe ich zuhause für Mama und Papa Menüs gekocht, mich mit Produkten auseinandergesetzt und viel ausprobiert. Ich habe das Tourismuskolleg in Innsbruck gemacht und dann in England Travel- and Tourismmanagement studiert. Ich hab´ gedacht, ich muss noch was Gscheits lernen, bevor ich Köchin werde, wenn ich es denn überhaupt werde. Und ich hatte gegenüber der Sterneküche Vorurteile, dachte, das ist alles ziemlich angestaubt, etepetete und nicht meine Welt. Je mehr ich mich mit dem Kochen befasst habe, umso mehr wurde mir klar, wie vielfältig diese Welt ist.

Wie liefen die Bewerbungen?

Das Steirereck öffnet einem schon viele Türen, aber grundsätzlich kommt man in die Restaurants rein, weil man als unbezahlter Praktikant keinen Lebenslauf haben muss, der überaus glänzend ist. In Österreich und Deutschland müssen Praktikanten mittlerweile bezahlt werden, in anderen Ländern nicht.

Sie sagen im Film einmal: „Als 16-Jährige hätte ich das nicht gepackt“. Als Frau ist es wohl besonders schwer in einer Männerdomäne wie dieser?

Ich habe Küchensituationen erlebt, die man definitiv als sexistisch oder übergriffig beschreiben kann. Jede Köchin hat so was in irgendeiner Form erlebt. In meinem Fall war es noch erträglich, aber es ist nicht korrekt. Je länger ich Köchin war, desto weniger hat es stattgefunden, was an meinem wachsenden Selbstbewusstsein lag und daran, dass man sich das bei mir nicht mehr getraut hat. In den Häusern im Film war es kein Problem, vor allem im Restaurant Koks auf Färöer stand das nie im Raum.

Beruf und Familie seien nicht vereinbar in dieser Branche, heißt es an anderer Stelle. Wie sehen Sie das?

Will man Familie und Beruf vereinen, muss man sich Strukturen dafür schaffen — mit einem eigenen Laden oder in einem Restaurant, das offen ist etwa für Teilzeit. Die Arbeitszeiten sind schwierig, aber vielleicht ist die Zeit, die man dann miteinander hat, umso wertvoller.

Sie kommen aus einer Generation, die vermehrt auf Work-Life-Balance achtet, deswegen auch immer wieder Kritik ausgesetzt ist.

Meine Generation tendiert schon eher dazu, die Thematik Work-Life-Balance dafür zu benützen, eigentlich nicht wirklich zu arbeiten. Drei-, Vier-Tage-Wochen, alles schön und gut, aber man muss sich auch überlegen: Wie kommt das Geld rein? Ich habe Freunde, die nicht länger als sechs Stunden am Tag arbeiten wollen. Das ist ein sehr anspruchsvolles Denken und anspruchslos an sich selbst. Es ist gefährlich, was wir da machen, weil wir immer mehr wollen an Lebensstandard, aber weniger bereit sind, Einsatz zu bringen und uns darauf ausruhen, dass wir in einer Wohlstandsgesellschaft leben. Wir haben es ja verdammt gut. Aber es hängt auch vom Beruf ab: Ich arbeite 60 Stunden plus, liebe meinen Beruf und es macht mir nix aus, dafür so lang drinzustehen.

Es geht auch um den Umgang mit Nahrungsmitteln. Gerade in der gehobenen Gastronomie werden Produkte oft von weither eingeflogen. Wie sehen Sie das?

Ich denke, dass sich die Sterneküche, die sich viel dieser Produkte bedient, auf ganz natürliche Art und Weise in den nächsten Jahren reduzieren wird, weil wir einfach mittlerweile ein starkes Bewusstsein für Nachhaltigkeit haben, gerade auch die Jungköche in der Szene. Ich würde nicht in einem Restaurant arbeiten, das das nicht als extrem wichtig ansieht.

Wie denken Sie über die Zukunft der Gastronomie?

Die Gastronomie hat es gerade schwer, weil wir einfach keinen Nachwuchs bekommen. Deshalb braucht es mehr individuelle Konzepte, für die sich die Leute interessieren. Da geht´s auch um Arbeitsbedingungen usw. Die Frage ist, ob essen zu gehen langfristig nicht etwas viel Exklusiveres sein muss. Der Gast erwartet, dass das Schnitzel genau das kostet, was der Wareneinsatz im Supermarkt kostet und hat nicht unbedingt Verständnis dafür, dass da eine Lampe brennt, ein Kellner herumläuft, drei Köche arbeiten. Das Bewusstsein dafür, wie wertvoll so ein Teller Essen ist, müsste sich ändern.

Im Koks auf den Färöer-Inseln haben Sie dann Heimatgefühle entwickelt …

Das Team und die Philosophie und der Stil im Koks sind einfach sehr ansprechend, sehr minimalisiert auf das Produkt, darauf, den maximalen Geschmack herauszuholen. Und wir arbeiten in einem Team, wo der Hauptfokus der Zusammenhalt ist. Es gibt kein Konkurrenzdenken.

Wie läuft es dort gerade?

Die Location in der Pampa war für uns nicht mehr wirklich bespielbar. Bis unser neues Restaurant dort saniert ist, sind wir mit dem Koks als Pop-up unterwegs, heuer zum zweiten Mal in Grönland, nächstes Jahr voraussichtlich in Tokio, dann geht´s auf Färoer wieder los.

Was sind Ihre nächsten Ziele?

Ich bin jetzt Sous-Chefin und erst einmal bleiben wir (Anm., Agnes hat im Koks auch ihren Lebensgefährten kennengelernt) dort, solange es Spaß macht und wir dort auch noch etwas lernen. Aber der Wunsch nach etwas Eigenem ist definitiv da, who knows, vielleicht in Österreich …

Mit AGNES KARRASCH sprach Melanie Wagenhofer

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