Die Apokalypse kommt mit Konrad

Präzise, dicht, poetisch: Premiere von Jura Soyfers „Weltuntergang“ im Linzer Theater Phönix

Die Stimme des Aufklärers bleibt ungehört, der Professor (Marius Zernatto) nur noch ein trauriger Clown. Aber die Leut´ sind gut drauf: Martin Brunnemann, Lara Sienczak, Gina Christof.
Die Stimme des Aufklärers bleibt ungehört, der Professor (Marius Zernatto) nur noch ein trauriger Clown. Aber die Leut´ sind gut drauf: Martin Brunnemann, Lara Sienczak, Gina Christof. © Kurz

Die Sonne schlecht galaunt, die Sphärenharmonie gestört. Schuld ist der Planet Erde, der Erdenmond windet sich in Rechtfertigungen. Die Erde nicht gerade krank, „aber sie hat … wie nennt man das nur … Menschen hat sie!“ Zufällig anwesend der Komet Konrad, auf dem Weg zu einem Date mit einer Sternschnuppe. Mars hat die giftige Idee: Konrad soll die Menschlein vernichten. Der Komet in mörderischer Mission: „Gott, wird das an Plantsch geben!“

Als wär´s ein heiteres Kaffeehauskränzchen, startet „Weltuntergang oder die Welt steht auf kein´ Fall mehr lang“. Jura Soyfers erstes Theaterstück von 1936, eine Entdeckung im Linzer Theater Phönix. Der damals gerade 24-jährige Soyfer im verzweifelt-witzigen Aufbäumen gegen den Irrationalismus seiner Zeit, leider zeitlos gültig. Falsch ist falsch und wahr ist wahr, so spricht der Narr: Die Wahrheitsverdrehung reicht von Goebbels´scher Propaganda bis zu den „alternativen Fakten“ der von Internet-Blasen aufgedunsenen Gegenwart.

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Premiere von „Weltuntergang“ war am Donnerstag. Als zentrale Figur Professor Guck, von Marius Zernatto intensiv und mit viel Herzblut gespielt. Gucks Erfindung könnte den Kometen von seiner tödlichen Bahn ablenken. Der Professor konfrontiert mit kafkaeskem Irrsinn, wer ist zuständig für den Weltuntergang? Von den Nazis ist naturgemäß nichts zu erhoffen, für sie der Weltuntergang bloß jüdisch-bolschewistische Verschwörung. Die Großmächte England und Frankreich winken ab, der Professor gefährde die europäische Stabilität (hellsichtige Vorwegnahme der Appeasement-Politik gegenüber Hitler!). Doch am schlimmsten sind die Wiener: Parteienverkehr zwischen 9 und 14 Uhr, der Weltuntergang soll gefälligst warten.

Vor dem Weltenbrand

Das Phönix wagt mit „Weltuntergang“ viel und gewinnt noch viel mehr. Eine Apokalypse, durchsetzt mit rabenschwarzem Wiener Humor und schön schlingernd mit Untergangsmusik von Andrea Szewieczek am Klavier. Ein Stationenstück wie Karl Kraus´ „Die letzten Tage der Menschheit“, bei weitem nicht so ausufernd, aber inhaltlich eng verwandt. Der eine schrieb mitten aus dem 1. Weltkrieg, der andere ahnte den nächsten Weltenbrand. Soyfer erlebte diesen nicht mehr, er starb als Häftling im KZ Buchenwald am 16. Februar 1939 an Typhus.

Diesen „Weltuntergang“ dermaßen präzise und – kein Witz! – poetisch zu gestalten, ist das große Verdienst von Regisseur Yaron David Müller-Zach. Dichte Bilder gelingen, Sprachwitz und Surreales variieren mit düsteren Clown-Elementen. Revuefilm und Alltagselend der 1930er beamen den Besucher in die Gegenwart und zurück. Brodelnde Wut und zaudernde Demokraten, Wissenschaft prallt auf geifernden Irrationalismus.

Ruhig und eindringlich inszeniert Müller-Zach, kostet Szenen aus, dehnt Zeit. Lässt den Figuren Raum, bringt deren Sprachlosigkeit zur Sprache. Hohe Politik und die armen Leut´, die Selbstmörderin (Lara Sienczak), die nicht den Weltuntergang abwarten will („sicher ist sicher“). Fließender Rollenwechsel, die tratschende alte Jungfer (Gina Christof), die Profiteure der Wirtschaft, die mit dem Weltuntergang immense Gewinne abschöpfen. Martin Brunnemann ein Prediger, der Erlösung verspricht, Julia Frisch, die ihre Stimme der Sonne und gackernden Journalisten leiht.

Mirkan Öncel schließlich als Komet, der sich der Menschheit erbarmt. Hunger und Brot auf der Erde in Überfülle, ebenso Gut und Böse. Das war 1936, das ist heute? Dieser „Weltuntergang“ crasht still und fulminant den Weihnachtslärm dieser Tage. Besinnlichkeit, quasi. Großartig! Ein Nachdenken und fester Applaus im Phönix.

Von Christian Pichler

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