„Die Bezauberer“: James Ellroys Fiebertraum rund um Marylins Tod

Zwischen Fakt und Fiktion im Hollywood längst vergangener Tage

Fred Otash war Polizist in Los Angeles, als Privatdetektiv lieferte er dann dem Schmuddelblatt „Confidential“ Intimes aus dem Privatleben der Filmstars, u.a. soll er Marilyn Monroe überwacht haben. James Ellroy hat den „Hollywood Fixer“ zu einer Romanfigur gemacht, zuletzt ließ er Otash in „Allgemeine Panik“ in der Hölle schmoren. Im Nachfolger „Die Bezauberer“ (Ullstein Verlag, 665 Seiten, 28,50 Seiten) schnüffelt der schmierige Ex-Cop rund um Monroes Tod – ein literarischer Hardboiled-Noir-Fieberalbtraum.

Ellroy vermischt in seinem jüngsten Roman einmal mehr Fakt und Fiktion. „Historische Fiktion zu kreieren, bedeutet für mich 75 Prozent Verdrehung der Tatsachen und 25 Prozent Wahrheit“, sagte der 76-Jährige im Interview mit der US-TV-Sendung „CBS Saturday Morning“. Er habe Otash, „Ich-Erzähler der Bezauberer“, wie es im Personenregister im Anhang des Buches heißt, „Drogen-Liebhaber“ und „freischaffender Erpresser“, zu einer Person gemacht, „die er nicht war“. John F. und Robert Kennedy, Monroe und Liz Taylor sowie deren Kollegen Eddie Fisher, Peter Lawford und Roddy McDowell wird die gleiche zweifelhafte Ehre zuteil.

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Sex, Suchtmittel, Mord

Sex, Suchtmittel, Mord – darum dreht sich Ellroys Kosmos, niedergeschrieben übrigens auf Blatt mit Stift (der Schriftsteller betonte mehrfach in Interviews, nie einen Computer benützt oder gar besessen zu haben). Otash soll im Auftrag von Jimmy Hoffa, Gewerkschaftsführer mit Verbindungen zur amerikanischen Cosa Nostra, Monroe ausspionieren. Als er Wanzen in Haus der Diva installiert, merkt Otash, dass deren Bleibe bereits einmal verwanzt gewesen ist. Nach dem Tod der Schauspielerin überträgt ihm Polizeichef Bill Parker, ebenfalls ein Dauergast in Ellroys Welten, die Aufgabe, Material zu finden (oder zu schaffen), das den US-Präsidenten von Gerüchten über eine Affäre mit dem Starlet entlastet.

Wahnwitzige Story

In „Die Bezauberer“ entfalten sich eine wahnwitzige Story um Einbrüche, sexuellen Missbrauch, eine Kindestötung, eine mysteriöse Entführung und Polizei-Brutalitäten. Es ist „feucht-heiß und stickig“ mitten im August in L.A. Diese Hitze überträgt sich in Handlung und Atmosphäre der Geschichte, an deren Anfang Otash und Ermittler in einer gemeinsamen Aktion einen Verdächtigen zu Todes stürzen lassen. „Was wir taten, war absolut illegal und improvisiert“, bekennt Otash. Bevor es richtig rasant wird, lässt Ellroy seine Leserinnen und Leser über (sehr, sehr) viele Seiten an Abhör- und Beschattungsaktionen teilhaben. Man hat oft das Gefühl, sich bei 40 Grad im Schatten lethargisch fortzubewegen.

Kein Mainstream-Krimi

Fans wissen, dass man vom „Demon dog of American crime fiction“ keinen Mainstream-Krimi vorgesetzt bekommt. Die Sätze sind oft kurz und schnell wie Gewehrsalven, die Erzählweisen unkonventionell, die Charaktere überwiegend fies, die Sprache explizit. Im Sonnenstaat der Fünfziger und Sechziger gehören bei Ellroy Affären und Drogen zum guten Ton der High Society und Möchtegernstars. Letztere, aber auch jene, die den Sprung zu Ruhm geschafft haben, verstricken sich mit Vorliebe in kriminelle Machenschaften.

Otash wirft sich Dexedrin ein und spült mit Rum nach, es plagen ihn Gewissensbisse – und doch schreckt er vor wenig zurück. Politische Intrigen entfalten sich in „Die Bezauberer“. Zugleich zieht Ellroy genüsslich die Welt der Reichen und Schönen durch den Schmutz. Auch für Liebe und die Suche nach dieser bleibt in den 665 Seiten ein klein wenig Platz. Mehr Raum nehmen Gewaltausbrüche ein: „Schläge mit dem Telefonbuch hallen nach“, sagt Otash trocken nach einem Verhör. Am Ende, ohne dieses zu verraten, ist „Ratzfatz-Bob“, wie Ellroy den US-Innenminister Robert Kennedy bezeichnet, zufrieden. Und Otash zeigt überraschend sogar einen Anflug von Edelmut.

Der Mann, der Leben zerstörte

Der echte Otash starb 1992. Ellroy, bekennender Konservativer, der aber seit Ronald Reagan nicht mehr zur Wahl gegangen sein will, kannte ihn ein wenig und verabscheute ihn angeblich. Als Inspiration diente der Mann, der Leben zerstörte, nicht nur dem Ex-Süchtigen und Spanner Ellroy, sondern auch für die Rolle von Jack Nicholson in „Chinatown“.

Von Wolfgang Hauptmann

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