„Die Physiker“ am Linzer Landestheater: Wo fängt Wissenschaft an, wo hört sie auf?

V. l.: Sebastian Hufschmidt, Klaus Müller-Beck, Christian Taubenheim © Petra Moser

Freiheit, Ethik und Verantwortung der Wissenschaft gegenüber Gesellschaft und Politik fängt wo an, hört wo auf?  Seit 1962 der dramatische Dauerbrenner zum Thema ist die Komödie „Die Physiker“ von Friedrich Dürrenmatt (1921–1990). Der raffinierte Krimi zieht auf doppeltem und dreifachem Boden in einen Sog um den Kern „Alles Denkbare wird einmal gedacht, was einmal gedacht ist, kann nicht mehr zurückgenommen werden“. Zu Recht steht das Stück nach wie vor auf Lehrplänen und füllt Theater. Premiere feierten „Die Physiker“ am Samstag im Schauspielhaus in einer Inszenierung von Tom Kühnel und Jürgen Kuttner.

Zentrale Figur ist Klaus Müller-Beck als Johann Wilhelm Möbius, der behauptet, König Salomo hätte ihm die Weltformel, ein ungeheuerliches Machtmittel mit Potenzial, die Welt zu vernichten, mitgeteilt. Als Verrückter in der Psychiatrie versucht er, seiner wissenschaftlichen Verantwortung zu entkommen und verbrennt schließlich alle seine Manuskripte.

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Doch internationale Spione sind ihm auf der Spur. Die Mit-Patienten Albert Einstein und Isaac Newton entpuppen sich als Agenten zweier konkurrierender Geheimdienste, die sich als geisteskrank ausgaben, um ins Irrenhaus von Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd zu gelangen. Beide Spione ermorden jeweils ihre Krankenschwestern, als diese ihr Geheimnis entdecken. Kriminalinspektor Voss resigniert, weil er Verrückten nichts anhaben kann. Die einzig wirklich Irre, Institutsleiterin Mathilde von Zahnd, hat aber bereits heimlich alle Aufzeichnungen kopiert und die Irrenanstalt längst zur Zentrale eines weltweiten Trusts gemacht.

Philosophieren und morden in einem Paradiesgarten

Die drei Physiker philosophieren und morden in Linz nicht in einer geschlossenen Anstalt, sondern in einem Paradiesgarten, einem romantischen Dschungel (Bühne Johanna Pfau), unter dessen Bäumen eine überdimensionale Schlange lauert. Als Metapher so dick wie die drei Wissenschafter, wenn sie sich am Schluss Affenmasken „nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“ überstülpen.

„Die Gerechtigkeit macht Ferien“, scherzt Alexander Hetterle als Kriminalinspektor Voss, nachdem auch Möbius seine Krankenschwester umgebracht hat. Locker sitzt er zum „Rosaroten Panther“ am Klavier und erzählt, wie schon zu Beginn vor dem Vorhang, halblustige Psychiatriewitze. Eva Maria Aichner als Missionarsfrau macht im Dialekt auf hausbacken und bieder. Kühl fertigt Möbius als Geisteskranker den gekünstelt pathetischen Auftritt seiner Ex ab.

Eine verbale Arie inszeniert Einstein Sebastian Hufschmidt in seinem Einstiegsmonolog. Gleich seinem Pendant Christian Taubenheim als Newton zelebriert er in je drei Identitäten den Irrsinn. Schlüsselszene ist ihr metaphorisches Ringen im philosophisch und physisch meisterhaften Dreikampf zum rhetorischen Dreikampf um die Freiheit der Wissenschaft.

Musikalisch öffnet Joachim Werner eine Juke Box von „Radio Acitivtiy“ bis „Yesterday“. Eigens komponierte Soundcollagen zu kryptischen Wortfetzen füllen schon am Anfang die Hirnzellen. Zum Flamenco erwürgt Klaus Müller-Beck als Möbius seine geliebte Pflegerin Monika Stettler (Nataya Sam) nach einer wie mathematisch konstruierten Liebesszene.

Gerissenheit und Kälte verströmt Gunda Schanderer als Fräulein von Zahnd, bevor sie in den Irrsinn kippt. In einer nochmaligen Wende wird auch sie abgeführt, was aber nichts daran ändert, dass die Menschen zerstörende Erfindung bereits in totalitären oder kapitalistischen Systemen gleichermaßen verheerend gelandet ist.

Dürrenmatts Komik, Zynismus und Pathos gehen verloren im hübschen Dschungel, umso brisanter steht die Fragwürdigkeit von Wissenschaft, Macht und Wahrheit im Raum. Ein optischer und akustischer Genuss!

Von Eva Hammer

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