Ein wahrer Maskenball: Antwerpen feiert James Ensor

Es sind die Masken, die nicht verhüllen, sondern offenbaren, mit denen sich James Ensor zum wichtigsten belgischen Maler des 20. Jahrhunderts aufschwang. In Österreich heute weitgehend unbekannt, gilt Ensor in seiner Heimat als Ikone. Entsprechend pompös feiert Flandern heuer den Jahresjubilar, dessen Todestag sich am 19. November zum 75. Mal jährt. Dabei übernimmt nun die Hafenstadt Antwerpen die Führung, wo am Samstag (28. September) ein ganzer Ausstellungsreigen startet.

Das erste Dreivierteljahr hatte noch Ensors Heimatstadt Ostende das Zepter im Festreigen inne mit in Summe 100 Aktivitäten – vom Ausstellungsreigen bis zum app-unterstützten Stadtspaziergang auf den Spuren des Malers. Schließlich war das Küstenseebad, in dem Ensor am 13. April 1860 als Sohn eines Briten und einer Belgierin geboren wurde, praktisch durchgängig Wohn- und Arbeitsort des Künstlers und nicht zuletzt seine Bühne, die er mit elegant-auffälliger Erscheinung bespielte, bis er dort 1949 verstarb.

Doch nun übernimmt die flämische Metropole Antwerpen im fliegenden Wechsel den Staffelstab. Die Organisatoren haben dabei das Kunststück bewerkstelligt, die Würdigungen gleich in allen großen Museen der Hafenstadt stattfinden zu lassen. In vier komplementären Ausstellungen, die parallel am morgigen Samstag starten, beleuchtet man verschiedene Aspekte im Schaffen des Jahresjubilars – jeweils grundiert mit dem Fokus der jeweiligen Institution.

Das Herzstück stellt dabei zweifelsohne die Monumentalschau „Ensors kühnste Träume“ in der Königlichen Akademie der Schönen Künste (KMSKA) dar, die bis 19. Jänner 2025 zu sehen ist. Hier befindet sich die größte Ensor-Sammlung weltweit mit 39 Gemälden und 650 Zeichnungen. Entsprechend breit bestückt ist man auch im Hinblick auf das Frühwerk Ensors, das sich vom späteren satirischen Groteskentheater noch vollends unterscheidet.

Zunächst zeigt das KMSKA die Anfänge im impressionistischen Gestus, seine Gehversuche im Sozialrealismus, bevor sich James Ensor sukzessive in den späten 1880ern zum Meister des Absurden, der Masken und der Totenschädel entwickelte. Man kontrastiert beziehungsweise ergänzt die Ensor-Bilder mit Werken von Vorbildern wie Emil Nolde, Claude Monet, Auguste Renoir oder Edvard Munch, zeichnet die vielen Zuflüsse nach, die schließlich in den Ozean Ensor mündeten. Dieser ist in seiner ureigensten Ausprägung von harter Sozialkritik geprägt, zeigt seine Personage, Autoritäten oder die Kirchenvertreter nicht mit menschlichem Antlitz, sondern mit den charakteristischen Masken im karnevalesken, frühexpressionistischen Duktus.

Die Masken verbergen den Menschen nicht, sondern enthüllen im Gegenteil sein Innerstes, entrücken stilistisch das Geschehen und legen durch das Verhüllen der Gesichter tiefere Wahrheiten frei. Dabei machte Ensor zeitlebens auch vor sich selbst nicht Halt und verzerrte seinen Kopf in zahllosen Selbstporträts zum Totenschädel.

Letztlich ist es wohl diese Selbstironie, sein Humor und seine freche Kritik an den Obrigkeiten, die James Ensor der belgischen Seele heute noch nahe erscheinen lassen. „Entscheidend ist sein unverbrauchter Ansatz, der in den Alltag wie ein Schwert schneidet“, umriss Antwerpens Kulturstadträtin Nabilla Ait Daoud bei der Präsentation der Feierlichkeiten die Wirkung, die Ensor bis heute ausübt.

Diese entfaltet er dabei primär in der impressionistischen Farbpalette, derer sich Ensor bis zum Ende seiner Tage bediente, auch wenn er den Impressionismus selbst alsbald hinter sich ließ. Pastos blieben die Bilder meist, auch wenn der Maler stilistisch eher dem Symbolismus zuwendete und mit seinen grotesken Figuren und dem Fokus auf die innere Bewegtheit ein Wegbereiter des Expressionismus wurde.

All das verdeutlicht man im nach langer Generalsanierung erst 2022 wiedereröffneten KMSKA allerdings nicht nur durch die in ihrem Umfang beeindruckende Schau. Am Haus ist auch das Ensor Research Project beheimatet, das sich der Forschung zur Materialwahl, den Querbeziehungen und den Einflüssen auf Ensor widmet.

Um den großen Festtanker KMSKA gruppieren sich überdies weitere künstlerische Partylocations, um den Jahresjubilar hochleben zu lassen. So widmet man sich im Modemuseum Momu unter dem Titel „Maskerade, Make-up & Ensor“ dem Aspekt des Kampfes des Menschen gegen sein natürliches Gesicht. Zahlreiche Ensor-Gemälde werden hier in den Dialog mit Installationen und Videoarbeiten von Make-up-Artists wie Walter van Beirendonck gesetzt oder um Arbeiten der Irin Genieve Figgis erweitert. Es wird in sympathisch unkonventioneller Weise deutlich gemacht, wie sehr die poppige Farbwahl, der antiklassische Gestus Ensors bis heute als Inspirationsquelle für die im Modebusiness Tätigen dient.

Im historischen Antwerpener Museum Plantin Moretus indes, das sich in den Räumlichkeiten der einst größten vorindustriellen Druckerei der Welt befindet, die 1576 ihre Arbeit aufnahm, ist indes eine Auswahl der Kupferstiche des Meisters unter dem Titel „Ensors Zustände der Phantasie“ versammelt. Mit den kleinen Preziosen begann der stets begierig nach Neuem suchende Ensor zu experimentieren, um Unikate für Sammler zu liefern, aber auch die eigene Neugier zu befriedigen. Mit derselben Kupferplatte fertigte Ensor immer neue Drucke, kolorierte und bearbeitete diese hin zu neuen, eben nicht erneut reproduzierbaren Werken. Die Gegenüberstellung dieser Experimente in den historischen Räumlichkeiten entwickelt dabei eine eigene, intime Aura.

Und schließlich ist im Fotomuseum Fomu die Schau „Anti-Fashion“ zu sehen, die auf Cindy Shermans Arbeiten fokussiert, und dabei auch zahlreiche Frühwerke aus dem Bestand der Wiener Verbund Collection zeigt. Hier offenbart sich der Bezug zu Ensor erst auf den zweiten Blick. Jedoch zieht sich die Frage der Maskerade als gesellschaftliches Zeichensystem wie ein roter Faden durch das Oeuvre beider Künstler.

Damit Antwerpen-Besucher und Ensor-Freunde im Würdigungsexzess nicht verloren gehen, hat die Stadt an der Schelde die vier Häuser räumlich verbunden. 22 Vitrinen sind zwischen den Institutionen im öffentlichen Raum aufgestellt, in denen sich Illustratoren mit Ensor auseinandersetzen und die zugleich als subtile Wegweiser dienen. Ab Samstag herrscht dann also bis in den Jänner hinein Maskenpflicht in Antwerpen.

(S E R V I C E –kmska.be ; momu.be ; museumplantinmoretus.be ; fomu.be)

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