Eine Verwandlung im Geiste Kafkas

Premiere: Tribüne Linz bleibt bei grausamer Sachlichkeit der Erzählung

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Gregor Samsa erwacht eines Morgens als Käfer auf dem Rücken liegend in seinem kleinen Zimmer in der elterlichen Wohnung. Aus seinem Mund rinnt braune Flüssigkeit, auf dem Boden zieht er eine klebrige Schleimspur. Er kann nicht sprechen, versteht aber alles, was um und über ihn gesprochen wird. Der biedere Handlungsreisende erfährt sich selbst als Ungeziefer und seine Umgebung im Umgang damit. Kafkas Erzählung schildert die letzten drei Monate im Leben des Handelsreisenden Gregor Samsa.

„Die Verwandlung“ nach Franz Kafkas 1912 verfasster Erzählung feierte am Donnerstag Premiere in der Tribüne Linz. Sie habe sich in der monatelangen Arbeit mit ihm leidenschaftlich in Kafka verliebt, sein Wesen, seine Gedanken, seine Zerrissenheit, gesteht die Autorin, Regisseurin, Intendantin Cornelia Metschitzer. Diese Intensität gibt sie ihrem Publikum weiter.

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Die Meisterin im Aktivieren der Vorstellungskraft auf der wie immer sparsamen Bühne nimmt gerade davon ein Stück weg, wenn sie Kafkas surreale Erzählung in konkretes Schauspiel verwandelt, den Hintergrund gar mit bühnenhohen Illustrationen füllt. Doch sie nimmt nicht nur, sondern gibt auch Wesentliches dazu.

Metschitzer schaltet auf die Ebene des Autors, schleudert zurück zum widerlichsten aller Ungeziefer, ohne zu erklären oder gar zu belehren, ganz wie ihr verehrter Kafka. Sie dirigiert, bestimmt den Fokus, erweitert Kafkas viele Blickwinkel um Reflexionen des Autors über sich selbst und seine Erzählung.

Beklemmendes Stück, spielerischer Zugang

Rudi Mühllehner trägt das Ein-Personen-Stück. Sein Zugang ist spielerisch und verblüffend luftig, gemessen an der Beklemmung, die von der Erzählung ausgeht. Der Originaltext ist zum großen Teil als Toneinspielung zu hören. Mühllehner steigt in Szenen, gestikuliert und reagiert als Käfer, schreibt als Kafka, ist der bieder gehorsame Gregor, übernimmt Momente jener, die sein Anblick entsetzt.

Verloren in allen Positionen, ein Besessener, als normaler Mensch ungewollt ein Guter. Als Kafka schreibt er in der tristen Stimmung seines Käfer-Protagonisten Briefe vom Abscheu vor dieser Figur, mit der er zugleich innerlich verschmilzt, die er aus sich hinauswerfen muss.

Im Hintergrund reduziert Jaafay Akbari Personen und Umgebung auf wenige Linien, karikiert mit gebotenem Ernst die ungeheure Tragödie, der alle völlig hilflos gegenüberstehen.

Das Insekt stirbt aus eigenem Willen. Erleichterung bei der Familie, Schulterzucken bei der Dienstbotin. Der Autor schläft noch eine Nacht drüber, bevor er die unwürdige Entsorgung des Ungeziefers verewigt. Auf der Bühne läuft der Text als Filmabspann.

Ein Gedankenexperiment, zeitlos und unbedingt aktuell. Die Tribüne Linz bemüht sich nicht, Aktualitäten und Interpretationen aufzupfropfen, sondern bleibt bei der grausamen Sachlichkeit der Erzählung, bereichert um den stets anwesenden Geist Franz Kafkas.

Das Publikum applaudiert dem Schauspieler Mühllehner, zeigt sich ergriffen von der knapp zweistündigen (ohne Pause) Inszenierung.

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