Eintritt in neue Welten

Belvedere: Großartige Aufarbeitung der „Dürerzeit“

Urban Görtschacher, Ecce Homo, 1508
Urban Görtschacher, Ecce Homo, 1508 © Johannes Stoll/Belvedere, Wien

Man kann mit Fug und Recht sagen, dass Wien neben dem „Tizian“ im Kunsthistorischen Museum, neben dem „Modigliani“ in der Albertina nun im Belvedere die dritte Großausstellung zu bieten hat, die als „Must see“ eine Reise wert ist.

Das Haus widmete sich der „Dürerzeit“ (bis 30. Jänner 2022), teils aus eigenen Beständen, teils mit Leihgaben anderer, vor allem österreichischer Institutionen. Denn es soll „Österreich am Tor zur Renaissance“ dargestellt werden, eine Epoche, in der sich der Geist und auch die Kunst nach dem Mittelalter in viele Richtungen öffneten.

Neues Selbstbewusstsein

Es gibt Epochen in der Geschichte, wo das Denken ein anderes wird, und das findet stets Niederschlag in der Kunst. Der Name von Albrecht Dürer ist, wie Belvedere-Direktorin Stella Rollig einräumt, ein Signalbegriff für große Kunst, und auch wenn sein 550. Geburtstag Anlass gäbe, ist er selbst in der Schau nur in geringem Maße vertreten.

Aber jene Epoche rund um 1500 und danach, die er in seiner Lebenszeit künstlerisch dominiert, ist eine Zeit des Aufbruchs, der „Renaissance“, die in neue Welten führte. Und neu war vieles, das in der Schau in Themenschwerpunkten behandelt wird, etwa das Selbstbewusstsein der Künstler, die als Persönlichkeiten und für das, was sie konnten und leisteten, wahrgenommen werden wollten.

Gewiss, es ist eine Übergangszeit, es finden sich noch Werke von dem „Meister von …“, wie die Nachwelt die anonymen Schöpfer zu fassen sucht, aber im übrigen sind es große Namen der Epoche, die man beisteuern kann: Lucas Cranach, Albrecht Altdorfer und Jörg Breu, die man der „Donauschule“ zuordnet, entwickelten ihren Individualstil, Michael Pacher, Jakob Seisenegger und andere Berühmtheiten sind zu finden.

Entdeckt hat man damals vieles, auch stilistisch – es gibt Beispiele, mit welcher Freude die Perspektive eingesetzt wurde. Man kümmert sich viel mehr als im Mittelalter um die Landschaft, und das Porträt trat in den Vordergrund, nicht nur von Fürsten (es gibt natürlich einen Kaiser Maximilian), sondern auch reich gewordene Bürger, die sich (oft mit Gattinnen) konterfeien ließen. Und der Tiroler Paul Dax zeigt sich im Selbstporträt, Zeugnis für neues künstlerisches Selbstbewusstsein.

Nachdem die Antike lange verschüttet gewesen war, blickte man auch thematisch darauf zurück, wenn auch die religiöse Welt des Mittelalters fortlebte — aber ungleich bewegter, intensiver als zuvor. Die Ausstellung bietet neben Gemälden, Grafiken, Skulpturen aus Stein und Holz sowie Medaillen auch Altäre, bei denen – wie in der übrigen Kunst – sichtlich mit Freude „Neues“ ausprobiert wurde: Ein Beispiel ist der Ädikula-Altar, der eine wahre stilistische Rarität zu bieten hat, nämlich gewölbte Seitenflügel.

Mit 120 Werken bietet die von Björn Blauensteiner kuratierte Schau einen so umfassenden wie hochkarätigen Einblick in eine Umbruchszeit. Man kann sich kaum satt sehen.