Er war der Größte und der Schönste

arte-Stream: Ken Burns´ fabelhafte vierteilige Doku „Muhammad Ali“ über den Jahrhundertsportler

Muhammad Ali tänzelte 1964 und 1965 das furchteinflößende Kraftpaket Sonny Liston einfach aus. Der Beginn eines Mythos.
Muhammad Ali tänzelte 1964 und 1965 das furchteinflößende Kraftpaket Sonny Liston einfach aus. Der Beginn eines Mythos. © ARTE

Der Knabe, Cassius Marcellus Clay, wuchs in einem Viertel von Schwarzen in Louisville, Kentucky auf. Außerhalb des Viertels sah er vermögende Weiße. Der Knabe wollte vom Vater wissen, warum er nicht auch so reich sein könne. Der Vater zeigte auf seine Haut und sagte: „Deshalb.“

Der Knabe nannte sich später Muhammad Ali und knöpfte als Boxer dem schier unbesiegbaren Sonny Liston 1964 den Titel im Schwergewicht ab. Ali zog mit seinem funkelnden Wesen die Menschen an. Das hatte er schon in der Schule getan, als er seine Lernschwäche – Legasthenie? – mit der Rolle des Klassenclowns kompensierte. Der Clown mit Lippenstift und Handtasche, die Klassenkollegen zerkugelten sich.

Das Geld gab Ali mit vollen Händen aus, für sich und für andere. Er liebte Aufmerksamkeit, war geradezu süchtig danach. Der Spitzensportler lud gerne Publikum in seine Trainings. Dort bat ihn einmal ein Mann im Rollstuhl um Geld. Ali drückte ihm ein Bündel Banknoten in die Hand. Angelo Dundee, Alis legendärer Trainer, fauchte Ali an: Der Mann ist ein Schnorrer! Ali antwortete: „Aber er hat keine Beine.“

Boxen als Kunstwerk

Alis Beine waren einer seiner größten Vorzüge. Der junge Boxer tänzelte um die Gegner, ein nicht zu fassender Gummiball. Einer seiner bekanntesten Sprüche war „Float like a butterfly, sting like a bee“ (Schwebe wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene). In seiner besten Zeit erschuf Ali regelrechte ästhetische Kunstwerke. Kämpfe, in denen er keinen einzigen Wirkungstreffer kassierte und den Gegner mit unerhört präzisen Schlägen zum Aufgeben zwang.

Ein Boxer, wie ihn die Welt davor noch nicht gesehen hatte. Und ein Schwarzer, der die Welt aufrütteln sollte. Das weiße konservative Amerika der 1960er-Jahre hasste das Großmaul, das sich auch noch erdreistete, öffentlich Wahrheiten auszusprechen. Darüber etwa, wie seinesgleichen, den Afroamerikanern, über Jahrhunderte eingehämmert worden war, schwach und schlecht zu sein.

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Ali war der strahlende Gegenbeweis. Und wie jeder Mensch auch einer mit Schattenseiten. Hässlich, wie er dunkelhäutige Kontrahenten als „Onkel Tom“ schmähte, also als willfährige Diener der Weißen. Oder auch lustig? Joe Frazier, seinen Dauerrivalen in den frühen 1970ern, verhöhnte Ali mit Sprüchen wie von von rassistischen Südstaatlern („Joe ist so hässlich, man sollte sein Gesicht einem Zoo spenden“). Ali hingegen nach härtesten Kämpfen noch „schön wie ein Mädchen“, wie er gerne stolz verkündete.

Den epischen Duellen zwischen Ali und Frazier widmet Ken Burns – von ihm auch die herausragende Dokumentation „Vietnam“ – breiten Raum in der vierteiligen Dokumentation „Muhammad Ali“. Triumphe und sportlicher Niedergang, danach weltweiter Botschafter der Menschlichkeit und ein Vergehen in Würde. Alis Kampf für die Rechte der Schwarzen, sein Engagement bei den emanzipatorischen, auch sektenhaften Black Muslims. Und Ekstase. Kinshasa 1974, „Rumble in the Jungle“, Ali schickt den ungleich stärkeren George Foreman auf die Bretter. Rope-a-Dope!

Ali starb am 3. Juni 2016 im Alter von 74 Jahren. Ein Mythos, engagiert für seine Anligen, bis die Kräfte nicht mehr reichten. Im kollektiven Gedächtnis ein von seiner Parkinsonerkrankung gezeichneter Ali, der 1996 in Atlanta das Olympische Feuer entzündete. Ikonographische Bilder eines Jahrhundertsportlers, in denen diese fabelhafte vierteilige Dokumentation schwelgt. Eine Freude und ein Genuss, gewiss nicht nur für Boxfans.

Von Christian Pichler

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Im Stream auf www.arte.tv/de, bis 11. März 2022

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