Erst die Songs, dann Handlung & Moral

„Die Dreigroschenoper“ an der Volksoper, eine Augen- und Ohrenweide

Ursula Pfitzner (Frau Peachum), Johanna Arrouas (Polly) und Carsten Süss (Jonathan Peachum)
Ursula Pfitzner (Frau Peachum), Johanna Arrouas (Polly) und Carsten Süss (Jonathan Peachum) © Volksoper Wien/Pálffy

Die Welt ist schlecht und wir sind Teil davon. Mit ihrer „Dreigroschenoper“ landeten Bertold Brecht und Kurt Weill einen Welterfolg. Das Werk, mit seinem Hit, der Moritat von „Mackie Messer“, steht seit Sonntag am Spielplan der Wiener Volksoper.

Wozu eines der erfolgreichsten deutschsprachigen Theaterstücke aktualisieren oder langweilige Gegenwartbezüge herstellen? Der mafiöse Bettlerkönig Peachum und sein Widersacher, der polygame Gangster Mackie Messer, haben seit jeher mit jeder Gesellschaft zu tun.

Der ganz normale moralische Ruin

Der junge Regisseur Maurice Lenhard zeigt den ganz normalen moralischen Ruin einer Gesellschaft, die sich selbst für hochanständig hält, in einem abstrakten Ambiente. Die sozialromantische Geschichte von der Umverteilung bleibt im Hintergrund. Bevor sie trotzdem gefangen nimmt, unterbrechen im Sinne Brechts 22 von Kurt Weill komponierte Welthits zu rabiaten Texten das Geschehen. Das Orchester in der Leitung von Carlo Goldstein trifft die Begleitrhythmik perfekt, macht die Songs zum zentralen Erlebnis des Abends. Jedes Lied fesselt, jede Person bannt die Situation, lässt innehalten, hebt in unausweichliche Allgemeingültigkeit.

Carsten Süss als Bettlerkönig Peachum ein bis zur Langeweile grundanständiger Mensch, seine Stimme wohlgebildet, ästhetisch ordentlich, gibt so gelassen bieder den Unterweltboss, wie es nur richtig Durchtriebene schaffen. Seine Huren und Bettler eine warm gepolsterte Speck-Gesellschaft, eine Art Mittelschicht, die alles tut für den eigenen Vorteil, um dann alle Schlechtigkeit auf die Welt zu schieben, denn „Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm“.

Ursula Pfitzner als Peachums nicht minder ordentliche Gaunergattin zieht tief in ihre Doppelbödigkeit bei der „Ballade von der sexuellen Hörigkeit“. Als Tochter Polly begeistert Johanna Arrouas mit einer Version der Seeräuberjenny, die in der Reihe großer Interpretinnen weit oben steht. Ebenbürtig Marco Di Sapia als Polizeichef Brown, unauffällig und aus selbstverständlicher Gewohnheit abgründig schlecht.

Malina Rassfeld (Bühne) und Christina Geiger (Kostüme) schwelgen in abstrakter Schönheit und isolierten Bildern. Auf einer offenen Bühne in mehreren Ebenen bewegen sich die Protagonisten im flauschigen Bunt der 70er, sodass auch ohne Rückendeckung keiner hart fallen kann. Mackie in der Todeszelle erinnert an ein sakrales Meisterwerk in goldenem Rahmen, jedes Bild würdig einer Ausstellung zum Thema 70er-Jahre-Ästhetik. Augenweiden, schön, bunt, voll offener und verdeckter Symbolik.

Erstmals spielt den Mackie Messer eine Frau

Einzig im Bordell dreht sich die Bühne zu einer gemütlichen Höhle, in der Mackie Messer verkehrt, elegant und als einziger im unschuldigen Weiß. Erstmals spielt eine Frau Mackie Messer. Weill-Spezialistin Sona MacDonald bedient nachdrücklich männliche Klischees, erst in ihrem Gesang schwingt der abgebrühte Zynismus dieser Figur. Die Spelunkenjenny wird als Pendent von Oliver Liebl dargestellt.

Applaus nach jeder Nummer. Songs und Bilder tragen die Inszenierung. Nach drei Stunden großer Jubel eines hingerissenen Publikums.

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