„Es ist nicht irgendwann, es ist jetzt“

Ars Electronica Center bringt neuen Schwung in die Ausstellung

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Es kann sehr schön, sehr praktisch, aber auch sehr gefährlich sein, wenn ein Mensch die Gedanken eines anderen lesen kann oder glaubt, sie lesen zu können. Was aber macht der Gedanke mit uns, dass ein Computer unser Gehirn „lesen“ könnte? Gerade wäre es für mich sehr praktisch, wenn ich nicht tippen müsste, sondern das Kastl mir gegenüber einfach meine Gedanken zu Papier bringen könnte.

Aber soweit sind wir noch nicht … Obwohl: In den USA konnten mithilfe eines Hirnscanners und Künstlicher Intelligenz (KI) kürzlich einzelne Wörter und Satzfragmente direkt aus dem Gehirn erfasst werden. Um zu verstehen, was da genau passiert, brauchen die meisten Menschen Hilfe und die bekommen sie ab sofort — gewohnt informativ wie ansprechend — im Ars Electronica Center (AEC) in Linz.

Orientierung zwischen Euphorie und Panik

Als das AEC 2019 die Ausstellung „Compass — Navigating the Future“ eröffnete, „stand KI vor der Tür“, sagt Christoph Kremer, Managing Director des AEC. 2023 ist sie da, in aller Munde, nicht mehr wegzudenken und das Haus am Donauufer zollt dem Tribut. An vielen Stellen wurde quasi an den Schrauben der Zeit gedreht und die Schau auf den neuesten Wissensstand gebracht.

„Es bedarf nicht mehr eines Kompasses, sondern einer Steuerung“, sagt Bürgermeister Klaus Luger und Kulturstadträtin Doris Lang-Mayerhofer betont die Bedeutung des AEC nicht nur als Museum, sondern auch als „Schule der Zukunft“.

Jene Forscher, die erste Schritte in Sachen „Gedankenlesen durch Maschinen“ gemacht haben, seien schon lange Kunden von g.tec medical engineering GmbH aus Oberösterreich, sagt einer der Gründer Christoph Guger. Schlaganfall- und MS-Patienten profitieren bereits massiv von dem KI-unterstütztem Training und können immense Erfolge verzeichnen, zu sehen in der Schau Neuro-Bionik im AEC.

Dass die fortschreitende Technik auch Regulation bedarf, zeigt eine Installation, die Besucher mit der Forderung sogenannter Neuro-Rechte wie mentaler Privatsphäre und Schutz vor Algorithmus-Vorurteilen konfrontiert. Mit dem aktuellsten Stand der Technik kann der Besucher sich selbst auseinandersetzen, indem er ChatGPT-3.5 und den Bildgenerator Stable Diffusion auf (künstliche) Herzen und Nieren prüft.

Schon im Foyer hat sich Richard Kriesche, der seit den 1990er-Jahren zu Künstlicher Intelligenz forscht, auf ChatGPT eingelassen und ein Triptychon unserer Zeit entstehen lassen. Eine Unterhaltung Mensch – Maschine, Fragen über Zusammenarbeit, Fusion, Urheberschaft. Sich mit KI auseinanderzusetzen, sei inzwischen eine Verpflichtung, so der 1940 geborene Künstler: „Es ist nicht irgendwann, es ist jetzt.“ Eine Zeitenwende.

Wer Zeit, Aufmerksamkeit und Hirnschmalz, aber auch Emotionen einsetzt, erfährt in der adaptierten Ausstellung des Ars Electronica Center, was zwischen Euphorie und Panik dringend nötig ist: Orientierung.

Von Mariella Moshammer

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