„Falter“-Herausgeber Thurnher: „Angriffslust gehört dazu“

Armin Thurnher verfolgt den Politik- und Medienbetrieb kritisch © APA/HANS KLAUS TECHT

Sein Wirken ist untrennbar mit dem „Falter“ verquickt. Seit 1977 ist Armin Thurnher als Mitgründer und später auch Chefredakteur und Herausgeber an Bord der unbequemen Wochenzeitung aus Wien. Vor seinem 75. Geburtstag, den er am Mittwoch, 21. Februar, begeht, sprach der unermüdliche Kritiker des Politik- und Medienbetriebs im APA-Interview über Angriffslust, dürftigen Qualitätsjournalismus und wie sich die FPÖ in Regierungsverantwortung beim „Falter“ bemerkbar machen würde.

APA: In der „Falter“-Charta heißt es zu Beginn: „Wahrheit existiert“. Ihr Team recherchiert und nähert sich der Wahrheit an. Dabei ist es auch Kritik, Drohungen und Klagen ausgesetzt. Ist das Klima im Lauf der Jahrzehnte für unabhängigen Journalismus rauer geworden?

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Armin Thurnher: Es ist nicht nur rauer geworden. Es ist ein gesellschaftliches Problem, dass diese Art, sich der Wahrheit anzunähern, von gewissen gesellschaftlichen Kräften angegriffen wird. Ich denke hier nicht nur an die politisch extreme Rechte, die Desinformation zu ihrem Prinzip erhoben hat. Mechanismen der Digitalwirtschaft rücken mit ihren Algorithmen in den Vordergrund, was Aufsehen erregt. Die Wahrheit ist aber oft langweiliger, komplizierter und erfordert Geduld.

APA: Ermittlungen der WKStA rund um Inseratenschaltungen und Rücktritte von Chefredakteuren wegen problematischer Chats mit Vertretern aus der Politik haben in den vergangenen Jahren für Aufsehen gesorgt. Ist der Journalismus in einer Vertrauenskrise?

Thurnher: Die Vertrauenskrise existiert, aber nicht nur, weil es Verhaberung gibt – die gibt es in einem kleinen Land leider immer. Der Qualitätsjournalismus selbst ist nicht transparent genug. Er steht oft auf der Seite der Mächtigen, ohne zu erklären warum. Oft ist er auch zu dürftig, um das Renommee zu rechtfertigen, das er für sich beansprucht. Man muss überlegen, wie man die Gesellschaft weiterbringt. Mit Aufdeckerjournalismus sicher, aber auch, indem man einen Strang intellektueller Debatten mitgestaltet, der eine kritische Auseinandersetzung mit Politik und gesellschaftlichen Entwicklungen möglich macht. Das ist die Aufgabe von Journalismus.

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APA: Als Problem entpuppt sich für viele Medien deren finanzielle Situation. Werbung wandert zusehends zu digitalen Riesen ab, die Zahlungsbereitschaft für Journalismus im Onlinebereich ist überschaubar. Viele bauen Stellen ab…

Thurnher: Das ist richtig und es ist dramatisch. Den Leuten ist immer noch nicht bewusst, dass sie im Digitalbereich, wo die scheinbare Gratiskultur herrscht, mit ihren Daten teuer bezahlen. Auch die Finanzierung von Medien durch Werbung war meiner Meinung nach immer ein Problem. Sie hat stets für Grauzonen gesorgt und zum Glaubwürdigkeitsproblem beigetragen, weil das Publikum spürt, dass Dinge durchaus durch finanzielle Interessen gesteuert werden. Es gibt in Österreich kaum mehr Werbung, die geschaltet wird, ohne dass damit Geschichten verbunden sind. Wir beim „Falter“ zahlen den Preis dafür, dass wir das nicht machen und deswegen viel Werbung nicht bekommen.

APA: Ist es dennoch wirtschaftlich gut um den „Falter“ bestellt?

Thurnher: Es ist wirtschaftlich gut um uns bestellt, weil wir aufgrund der von uns aufgedeckten Skandale bei den Abos und im Verkauf so zugelegt haben, dass wir uns das zubilligen können.

APA: Sie haben vor wenigen Wochen geschrieben, dass dieses Jahr entscheidend für den ORF werde. Gewinnt die FPÖ bei der Nationalratswahl und kommt Blau-Schwarz, sei es um ihn geschehen. Warum?

Thurnher: Weil die FPÖ dezidiert an der Zerschlagung des ORF interessiert ist. Die ÖVP hat unter Sebastian Kurz gezeigt, dass sie der Schwächung des ORF nicht abgeneigt ist. Kriegen sie den ORF klein, wäre das in jeder Hinsicht fatal. Der ORF ist viel mehr als ein Nachrichtenmedium. Der ganze Kunst- und Kulturbereich wäre ohne den ORF eines wesentlichen Standbeins beraubt. Der FPÖ unterstelle ich, dass sie Medien durch Propaganda ersetzen will. Und die ÖVP will Medien durch Profit ersetzen, merkt aber nicht, dass es letztlich auf dasselbe hinausläuft. Die Idee des öffentlich-rechtlichen und die Idee des Qualitätsjournalismus haben viel miteinander zu tun. Sie sind wesentlich mit Demokratie verbunden. Die Möglichkeit fairer, unbeeinflusster Kommunikation bildet die Grundlage für vernünftige Entscheidungen und gerechte Wahlen. Ist diese Möglichkeit weg, ist auch die Demokratie weg. Nicht von ungefähr haben illiberale Regime wie in Ungarn oder Polen immer zuerst den öffentlich-rechtlichen Rundfunk versucht auszuradieren oder tatsächlich ausradiert. Daher muss man sich um den ORF Sorgen machen und sich für ihn einsetzen – trotz seines aktuellen Zustands und seiner aktuellen Führung.

APA: Hätte die FPÖ in Regierungsverantwortung auch Auswirkungen auf den „Falter“?

Thurnher: Hätte Sie, weil unsere Abozahlen dramatisch steigen würden. Wenn ich gegen die FPÖ oder gegen eine blau-schwarze Koalition schreibe, bin ich der Feind meines eigenen Geldes. Und trotzdem werde ich es tun.

APA: Der „Falter“ wurde in einer medienmäßig verstaubten Zeit gegründet, quasi als Teil einer Gegenöffentlichkeit. Braucht es ihn heute noch?

Thurnher: Der „Falter“ ist so frisch wie je. Es ist eine ganz andere Generation am Werk, die neue Qualitäten hinzugebracht hat, ohne dass das Alte verschwunden wäre. Wir waren am Anfang eine kulturorientierte, politisch ziemlich radikale Zeitung, die sich mit dem Angebot, über die Veranstaltungsszene zu informieren, verkauft hat. Es gibt nach wie vor ein sehr starkes Bedürfnis nach diesem Angebot. Insgesamt sind wir offen für Veränderungen und kritisch im Sinne einer aufklärerischen Haltung, die eine demokratische Gesellschaft verteidigen will. Mehr an Aktualität braucht es nicht.

APA: Sie sind rundum zufrieden mit dem „Falter“?

Thurnher: Nein, überhaupt nicht. Ich ärgere mich jede Woche über etwas, das drinnen steht – auch über das, was ich selber schreibe. So kritikfähig muss man sein. Ich finde aber, sie machen es sehr gut und professioneller, als meine Generation es je machen konnte. Der „Falter“ hat sehr gute junge Leute und ist auch viel weiblicher geworden.

APA: Großes Zugpferd ist aber immer noch Chefredakteur Florian Klenk. Er erregt auch in den sozialen Medien sehr viel Aufmerksamkeit und polarisiert.

Thurnher: Er ist das große Zugpferd, aber bei weitem nicht das einzige. Man muss ihm zugutehalten, dass er um die Gefahren der sozialen Medien weiß. Er leidet sehr unter deren Mechanismen, nutzt aber die Stärke, die er dort hat, für das eigene Medium.

APA: Der „Falter“ ist immer mal wieder Thema beim Presserat. Auch wenn meistens keine Rüge folgt: Setzt man auf Provokation, um Aufsehen zu generieren?

Thurnher: Am Cover wollen wir linker Boulevard und im Heft eine linksliberale Qualitätszeitung sein. Das bringt mit sich, dass man aneckt. Es ist ja nicht so, dass man diese verlogene Partie, aus der die österreichische Medienlandschaft weitgehend besteht, ungeschoren davon kommen lässt. Von der ersten Ausgabe an, haben wir Medienkritik gemacht. Dass das früher nicht größere Skandale gemacht hat, war unserer geringen Bekanntheit geschuldet. Wir greifen aber keine Persönlichkeitsrechte an. Das gehört zu seriösem Journalismus dazu – wie auch eine gewisse Angriffslust und die Verpflichtung, Kritik nicht so sehr in Watte zu packen, dass man nicht mehr merkt, dass es Kritik ist.

APA: Sie treten auch als Autor zahlreicher Bücher in Erscheinung. Zuletzt ist „Preis und Klage“, eine Sammlung von in Hexameter verfassten Lobpreisungen und Nachrufen, erschienen. Warum diese Form, und an wen richten Sie sich mit diesem Buch?

Thurnher: Mein Publikum war mir immer ein bisschen nebulos, ich denke nicht an ein Publikum, wenn ich schreibe. Aber es gibt schon erstaunlich viele Bestellungen. Ich wollte mir gewisse formale Hürden auferlegen. Hexameter erschweren mir das Schreiben und zeigen, dass ich eine Anstrengung unternehme und damit dem Subjekt der Beschreibung Respekt zolle. Und natürlich habe ich auch eine leichte Provokation im Hinterkopf. Der Hexameter ist eine Form, die vollkommen aus der Mode ist. Wer macht so was schon?

APA: Sie haben mal gesagt, man soll, wenn man kann, bis 70 arbeiten. Jetzt werden Sie 75 Jahre alt. Haben Sie noch immer nicht genug?

Thurnher: Es ist leider so, dass das Schreiben mittlerweile zu meinem Leben geworden ist. Davon lässt sich kein Abschied nehmen. Solange es einigermaßen vernünftig funktioniert und mir keine Mitteilungen gemacht werden, dass ich es wegen zu deutlicher Senilität einstellen soll, solange werde ich weitermachen.

APA: Haben Sie sich beim „Falter“ schon Gedanken über ihre Nachfolge als Herausgeber gemacht?

Thurnher: Solange ich das Gefühl habe, dass ich gebraucht werde, bleibe ich dort. Als Chefredakteur habe ich bei alljährlichen Besinnungstagen Zettel mit der Frage, ob ich bleiben oder gehen soll, verteilt. Die waren anonym und trotzdem haben immer 100 Prozent gesagt, ich solle bleiben. Daraus habe ich den Schluss gezogen, dass ich ein schlechter Chef bin, weil zu gutmütig und zu beliebt. Ich habe mit den Umfragen aufgehört. Ich verlasse mich jetzt auf mein Gefühl.

(Das Gespräch führte Lukas Wodicka/APA)

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