Filme in einem Bild komprimiert: Albertina zeigt Crewdson

In einem Foto von Gregory Crewdson sitzen Mutter und Sohn an einem Tisch. Düsternis umfängt sie. Beide blicken stumm vor sich hin. Die Atmosphäre ist beklemmend: In der Kulisse amerikanischer Kleinstädte entwirft der Künstler mit seinen Werken technisch brillante Inszenierungen, die Einsamkeit und Abgründe behandeln. Crewdson überträgt epische Qualitäten des Kinos in seine Fotos. „Single Frame Movies“, nennt er sie. Die Albertina widmet ihm nun eine beeindruckende Werkschau.

Eine Schenkung von 182 Werken des 1962 geborenen Fotografen waren Ausgangspunkt der morgen (29. Mai) eröffnenden „Gregory Crewdson Retrospektive“, erzählt Kurator Walter Moser der APA bei einem Rundgang durch die Schau, in der 80 davon zu sehen sind. Sie zeigen mysteriöse Szenen zwischen Fakt und Fiktion. Stets lassen sie sich mit sozialpolitischen Entwicklungen in Beziehung setzen. „Man weiß nie genau, was passiert oder passiert ist“, so Moser.

Die Arbeiten Crewdsons erlauben einen Blick hinter die vermeintlich idyllische Fassade der Kleinstädte, die Szenen sind stets rätselhaft bis absurd oder unheimlich. Abgründe und Traumata sind zentrales Thema und Interesse des Sohnes eines Psychoanalytikers. Vertraute Tätigkeiten kippen ins Absurde, wenn in einem Foto etwa ein Rasen über eine Straße verlegt wird. Monatelange Planungen gehen den Bildern voraus. Stets werden „normale Menschen“ – Crewdson nennt seine Models „Subjekte“ – abgelichtet, nie Schauspieler.

„Wir zeigen neun Serien, von den Anfangen in den 1980er-Jahren bis in die Gegenwart. So eine komplette Zusammenschau hat es noch nie gegeben“, betonte der Kurator. Crewdsons erste künstlerische Arbeit, „Early Work“ (1986-1988) erinnert noch an klassische Dokumentarfotografie. „Aber er nimmt viel vorweg, was er später viel elaborierter umsetzt: Er fotografiert an einem realen Ort, wie generell mit einer Ausnahme im Großraum Massachusetts, Bewohnerinnen und Bewohner in ihrem häuslichen Umfeld. Zu Beginn noch mit relativ wenig technischem Aufwand“, erläuterte Moser. Aber Crewdson arbeitet bereits hier Beklemmung und Ängste heraus.

Ab der Serie „Natural Wonder“ bewegt sich Crewdson in eine zunehmen durch und durch inszenierte Fotografie. Mit „Twilight“, einer „ikonischen Serie für die Postmoderne der 90er“ (Moser), gelingt ihm der Durchbruch. Crewdson beschäftigt inzwischen ein Team, das ihm Requisiten besorgt – „die gebraucht und zeitlos wirken sollen“, merkte Moser an. Seine zweite bekannteste Arbeit, „Beneath the Roses“, stellt Crewdson in bis zu 40 Produktionsschritten mit bis zu 100 Mitarbeitern über acht Jahre fertig. Längst konzentriert sich der Künstler auf die Inszenierung, die technische Abwicklung überlässt er dem profilierten Kameramann Richard Sands.

„Die Serien setzen unterschiedliche Schwerpunkte“, erklärte Moser. „Einerseits sind sie immer eine psychologische Vermessung – etwa der Suburbs, der Abgründe der amerikanischen Gesellschaft und der Ängste -, andererseits geht es um Bilder über Bilder. Dass wir keine Wirklichkeit authentisch erleben, sondern durch Medien gefiltert.“ David Lynch hat mit seinem Film „Blue Velvet“ Crewdson geprägt, man findet in den Fotos aber auch Einflüsse, die von Edward Hopper über niederländische Meister bis zu Stephen King, Steven Spielberg und Filmmelodramen der 50er reichen.

Durch gleichbleibende Tiefenschärfe entsteht ein hyperrealer Eindruck: Von jeder Szene nimmt Crewdson Fotos mit unterschiedlicher Tiefenschärfe auf und kombiniert in der Postproduktion 40 bis 50 Negative. Die Serie „Beneath the Roses“ präsentiert er im Format 16:9, Melancholie und Einsamkeit kommt hier noch viel deutlicher und cineastischer zum Ausdruck, die unheimliche Atmosphäre früherer Arbeiten weicht einem psychologisierenden Grundton.

Den Zyklus „An Eclipse of Moths“ fotografiert Crewdson während der Präsidentschaft Donald Trumps in der Stadt Pittsfield, wo Jobs nach Schließung der Firma General Electric verloren gingen und eine zerstörte Umwelt zurückblieb. „Vom American Dream ist nicht mehr viel über, seine Sozialkritik verpackt Crewdson in Ästhetik“, erklärte Moser. Die Situation vernachlässigter postindustrieller Ort schildert der Künstler durch den Kontrast zwischen der in brillanten Farben wiedergegebenen Lichtstimmung und desolaten Motiven des Alltags.

Begleitend zur Ausstellung zeigt das Gartenbaukino zwei Filme, die im Kontext zu Crewdsons Schaffen stehen („Safe“ und „Blue Velvet“). Der zur Retrospektive erschienene Katalog bietet zusätzliche Fotos, Essays (u.a. von David Fincher) und ein Making-of.

„Gregory Crewdson Retrospektive“ in der Albertina, Kuration: Walter Moser und Astrid Mahler, 29. Mai bis 9. September, täglich 10-18 Uhr, Mittwoch und Freitag 10-21 Uhr, albertina.at.at

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