„Foreshadow“: Spiderman und Geckos bei ImPulsTanz

Ist man hier irrtümlich im Zirkus gelandet? Der Brüsseler Shootingstar Alexander Vantournhout legt sich in seinem neuen Stück „Foreshadow“ mit der Schwerkraft an. Das führt soweit, dass die Mitglieder seiner Compagnie not standing irgendwann wie Geckos über eine Wand laufen. Eine ungewöhnliche Performance mit atemberaubendem Akrobatikfaktor, die das ImPulsTanz-Publikum am Mittwochabend mit Standing Ovations bejubelte.

Dabei beginnt im Wiener Volkstheater alles recht harmlos. Acht Tänzerinnen und Tänzer in pastellgrünen bis -blauen Turnoutfits stehen am Rand der Bühne, die auf der Längsseite von einer mehrere Meter hohen weißen glatten Wand durchschnitten wird. Ein paar von ihnen verbinden sich zu einer Art Girlande. Ständig löst sich jemand, um sich an anderer Stelle wieder einzugliedern. Bald sind alle Teil dieser Gebilde, die an sich immer neu zusammensetzende Molekülketten denken lassen.

Neben den Armen verketten sich auch die Beine, bald werden Menschen gehoben, geschwungen, geworfen und gestemmt. In immer neuen Variationen ziehen sich die Performer an, stoßen sich voneinander ab, ziehen in Drehbewegungen eine Endlosschleife, winden sich umeinander oder verknoten sich in schier unmöglichen Verrenkungen zu menschlichen Knäuel.

Wie ein Räderwerk greift hier eine Bewegung in die andere. Der Industrial- und Noise-Soundtrack der experimentellen Londoner 70er-Jahre-Rockband This Heat, der rhythmisch pocht, knackt, klickt und knarzt und an manchen Stellen klingt wie ein 56k-Modem aus den Urzeiten des Internet, verstärkt diesen Eindruck noch.

Und als würde ihr der künstlich reduzierte Aktionsradius zu klein, weicht die Truppe irgendwann auch in die Vertikale aus. Nun kann sich das eigenwillige Tanzvokabular Vantournhouts, das tatsächlich vom Zirkus, aber auch von Kampfsport und Yoga beeinflusst ist, voll entfalten. Schnell wird klar, dass sich der 1989 geborene Choreograf für seine jüngste Arbeit, die erstmals in Österreich zu sehen ist, von Tieren beeinflussen ließ, die dank mikroskopisch kleiner Fußhärchen wie magisch an Wänden oder Decken entlanglaufen und dort kleben bleiben können.

Nur durch den geschickten Einsatz von vielen Händen, Füßen, Schultern oder Knien – derart organisch verwoben, dass man zwischendurch nicht mehr weiß, welcher Körperteil nun eigentlich zu wem gehört, – entstehen teils gecko- oder eidechsenähnliche Figuren auf dem um 90 Grad gekippten Dancefloor. Wie zu hybriden Wesen verschmolzen, scheinen die Tänzerinnen und Tänzer die Grenzen der Physik auf die Probe stellen zu wollen, um auszuprobieren, was gerade noch geht, um nicht im nächstgelegenen Unfallkrankenhaus zu landen.

Erfreulich ist, dass sich Vantournhout aber nicht auf das effektvolle Vorführen einzelner Kunststücke verlässt, sondern den Abend in durchaus anmutige Bilder kleidet, die bei aller eingesetzten Muskelkraft auch berühren können: Erstaunlich, was alles möglich ist, wenn man sich nur gegenseitig stützt.

Zum Schluss wird dann die gesamte Wand erklommen. Und man muss mindestens zwei Mal hinschauen, um sich zu überzeugen, dass hier wirklich keine Seile im Spiel sind, wenn Spiderman die Volkstheater-Bühne erobert zu haben scheint, bevor nach einem plötzlichen Blackout im Publikum der verdiente große Jubel losbricht.

Zweimal ist „Foreshadow“ bei ImPulsTanz noch zu sehen. Man kann nicht anders, als allen Mitwirkenden Hals- und Beinbruch zu wünschen.

(Von Thomas Rieder/APA)

ImPulsTanz: „Foreshadow“ von Alexander Vantournhout/not standing. Mitwirkende: Noémi Devaux, Axel Guérin, Patryk Kłos, Nick Robaey, Josse Roger, Emmi Väisänen/Margaux Lissandre, Esse Vanderbruggen und Alexander Vantournhout/Chia-Hung Chung. Musik: This Heat. Weitere Aufführungen: 25. Juli, 19 Uhr (Zusatzvorstellung) und 26. Juli, 19.30 Uhr, im Wiener Volkstheater. impulstanz.com

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