Geraubt, gesammelt, versteckt: Große Werke aus der Erde des Salzkammerguts

Kulturhauptstadt 2024: Kunstmuseum Lentos zeigt Flaggschiff-Ausstellung „Die Reise der Bilder“

Landkarten und Videos, die die Geschichte der Gemälde und ihrer Lagerstätten ins Heute holen, ergänzen die Schau im Lentos.
Landkarten und Videos, die die Geschichte der Gemälde und ihrer Lagerstätten ins Heute holen, ergänzen die Schau im Lentos. © Violetta Wakolbinger

Der Wirt beschwerte sich. Immerhin waren die Gemälde, die im Festsaal seines Gasthauses lagerten, richtig groß. Schließlich wurde er von der Last befreit und mehrere Bilder am 13. März und 31. Mai 1947 nach Enns in das Schloss Ennsegg überstellt. Nach der Auflassung dieser Depots fand das zuständige Bundesdenkmalamt, dem es ein großes Anliegen war, die Gemälde in Österreich zu behalten, einen geeigneten Platz: Am 26. April 1948 wurden sie in den Steinernen Saal des Linzer Landhauses gebracht, wo die amerikanische Verwaltung ein Depot errichtet hatte. Das war aber noch nicht das Ende der Reise dieser Bilder, nach einem Zwischenstopp im alten Bräuhaus an der Donaulände kamen sie ins Landesmuseum. Aber wie waren die Bilder überhaupt beim Wirten in St. Agatha in Bad Goisern gelandet? Fünf Meter Schnee am Pötschen verhinderten einst den Transport der Großformate in die sicheren Bergwerkstollen im Ausseerland.

Krimis, Odysseen und Geschichten von Zerstörung und Rettung

Es sind kleine Kriminalgeschichten, große Odysseen, Geschichten von Zerstörung und Rettung, die ab 20. März im Kunstmuseum Lentos in Linz erzählt werden. Die Ausstellung „Die Reise der Bilder“ ist eines der Flaggschiffe des diesjährigen europäischen Kulturhauptstadtjahres Salzkammergut 2024. Beheimatet ist diese als erster Teil einer Trilogie bezeichnete Schau nichtsdestotrotz in Linz, wobei der Begriff des Tors zum Salzkammergut dafür etwas gedehnt werden muss. Doch bringt die oberösterreichischen Landeshauptstadt Expertise in Sachen Kulturhauptstadt mit, durfte sie sich selbst 2009 als solche bezeichnen.

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„Es ist gar nicht alltäglich, dass ein Bundesland zweimal auf dieser internationalen Bühne stehen kann“, betont Landeshauptmann Thomas Stelzer: „Es zeigt, wie viel kulturellen Humus es in Oberösterreich gibt. Wir wissen aus den Erfahrungen von Linz 09 um die positiven Langzeiteffekte eines solchen Projekts.“ Gerade in Linz sehe man seit dem Kulturhauptstadtjahr, wie Kultur verändern kann, sagt auch Linz‘ Kulturstadträtin Doris Lang-Mayerhofer, die sich wie Bürgermeister Klaus Luger internationales Interesse an der Ausstellung erhofft.

Tief in der Erde des Salzkammergutes lagerte europäische Kunstgeschichte

In der Zeit des Zweiten Weltkrieges wurde das Salzkammergut Dreh- und Angelpunkt europäischer Kunstgeschichte. Die kilometerlangen Bergwerkstollen der Gegend wurden zu Lagern, Sammelplätzen und geschützten Orten. Zu Tausenden in Kisten verpackt, fanden sich tief in der Erde des Salzkammerguts Gemälde, Grafiken, Skulpturen, Mobiliar.

Dicht gehängt sind sie nun im Obergeschoß des Lentos zu sehen, im unteren Drittel der Wände, zu manchen muss man sich hinunterbücken, um sie richtig betrachten zu können. Für eine barocke Präsentation habe man sich entschieden, eine Petersburger Hängung, erklärt Elisabeth Nowak-Thaller, die die Schau „Die Reise der Bilder“mit Birgit Schwarz kuratiert hat. Bild an Bild, kein großer Freiraum dazwischen, so hätte es Adolf Hitler auf keinen Fall haben wollen. Dem Monumentalen, das manchen der rund 80 gezeigten Bilder inhärent ist, werden die Grenzen aufgezeigt.

Doch was nun bis 8. September im Lentos zu sehen ist, das wäre — bis auf ein paar Ausnahmen wahrscheinlich; auch von den Nazis als entartete Kunst Betrachtetes fand sich in den Stollen — sehr wohl im Sinne Hitlers gewesen. Hatte er doch zeitlebens ein „Führermuseum“ in Linz im Geiste, das er mit gekaufter und geraubter Kunst aus ganz Europa füllen wollte.

Auch gerettete Werke aus KHM, Belvedere und Co. in den Stollen

Doch nicht nur von Hitler gesammelte und entwendete Kunst ist in Linz zu sehen, auch jene Werke, die in den Kriegsjahren in den Stollen in Lauffen bei Bad Ischl landeten, um vor den Bombardierungen gerettet zu werden. Die großen Wiener Häuser, Kunsthistorisches Museum, Albertina, Belvedere, Akademie der Bildenden Künste … sie alle waren aufgefordert, ihre wertvollsten Schätze zu benennen und ins Salzkammergut bringen zu lassen. Die meisten überstanden so schadlos. Anders Gemälde der Akademie der Bildenden Künste. Deren damaliger Direktor hatte sich einst entschieden, nichts aus seinem Bestand mit „A“ zu klassifizieren und damit zum Transport nach Lauffen freizugeben. Über 600 Werke wurde in den Kriegswirren zerstört.

In Linz können sich Besucherinnen und Besucher einem Stück heimatlicher Geschichte nähern, die, so die künstlerische Leiterin der Kulturhauptstadt Elisabeth Schweeger, einzig durch die Kunst erzählt wird.

Ergänzung findet diese Erzählung ab 28. März im Kammerhofmuseum Bad Aussee mit der Ausstellung „Wolfgang Gurlitt“ über das Leben des Sammlers und Kunsthändlers. Anhand zeitgenössischer künstlerischer Positionen wird das große Feld zwischen Raub, Verschleppung, Restitution und Rekonstruktion ab 27. April im Alten Marktrichterhaus in Lauffen bei Bad Ischl mit der Schau „Das Leben der Dinge“ finalisiert.

Von Mariella Moshammer

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